Dienstag, 9. Oktober 2007

Santa Cruz Februar

Sonntag mittag. Ankunft in Santa Cruz. Das soll also jetzt meine zukünftige Stadt sein. Ein Blinddate. Ich habe mich für eine mir unbekannte Stadt entschieden. Die Straßen sind leer. Ich kann die Geschäfte hinter den geschlossen Jalousien nur erahnen. Sonntagnachmittagstimmung. Unentschlossen schaue ich mich auf dem Busbahnhof um. Welche Richtung? Wo ist das Meer? Die Stadt? Ich frage mich durch. Ein Koffer, ein Rucksack und eine Handtasche können auf Dauer ganz schön schwer werden. Ich lande in der Pension Casablanca. Steile Treppen bis zum Dach. Eine kleine Box, mit einem Bett, ein Waschbecken und eingebautem Schrank. Ein Fenster mit Ausblick zum Gang. Erleichtert stelle ich meine Koffer ab. Ruhe. Bin ich angekommen? Wie lange werde ich hierbleiben?

Ich schaue mir mehrere Zimmerangebote an. Die meisten Wohnungen sehen ähnlich aus. Die Tür geht auf und ich stehe im Wohnzimmer mit Möbel Höffner Ambiente, dann die Küche, ein langer Gang und mehrere kleine Zimmer. Die 3x3 m Zimmer mit Blick in einen dunklen Schacht sind wie kleine Kinderzimmer. Ein Bett, ein Regal, ein Schrank. Schräg hängende Poster von verschiedenen Stars würden hier gut hineinpassen. Mein Verlangen nach Ausblick und Sonne teilen die Spanier nicht mit mir.

Santa Cruz gefällt mir. Trotzdem fühle ich mich wie ein gestrandeter Immigrant. Ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Freunde. Mein Handy wird zur wichtigsten Sache der Welt. Mit Menschen zu sprechen, die mich kennen und schätzen, geben die Bestätignung der Existenz. Ich denke an die gestrandeten Afrikaner, mit Blick nach vorne und nie zurück. Verbunden mit ihrer Heimat durch das Mobiltelefon.

Durch meine Zimmersuche lerne ich die Stadt kennen. Ich entscheide ich mich für die Calle Porlier. Zentral gelegen, 200 Euro im Monat, dritte Etage, immerhin liegt das Zimmer zur Straße hinaus. Mit Blick auf ein braunes Gebäude der Telefonica aus den Siebzigern. Ich brauche die Stimmen von draußen, um meine eigenen Gedanken zu bewegen. Marcel und Esther sind nun meine neuen Mitbewohner. Santa Cruz c/Porlier 39, 3° izda

Die ersten Tage ist mir nicht so richtig klar, wer hier wohnt. Eine Spaniern begrüßt mich. Wohnst du hier? Nein ich bin die Freundin von Fernando. Dann steht plötzlich ein älterer Mann vor mir. Guten Tag, ich bin gerade aus Kuba angekommen, der Vater von Fernando. Eine Brasilianerin, die Freundin von Shirley, die nun tatsächlich hier wohnt. Am nächsten Tag liegen Schlüssel auf dem Tisch. Der Kubaner ist ausgezogen. Dafür wohnt jetzt eine Spanierin in seinem Zimmer, die ich so gut wie nie sehe. Jetzt ist etwas Ruhe eingegehrt. Nur noch der Freund von Shirley ist ab und zu Gast in dieser Wohnung. Shirley kommt aus Venezuela, hat zwar noch keinen Job gefunden, dafür einen Lover aus dem Internet. Sie schaut den ganzen Tag fernsehen, hat sich jetzt einen TV für ihr Zimmer von Marcel kaufen lassen. Esther und Marcel, die Eigentümer der Wohnung, kommen immer spät abends nach Hause, essen Berge von Fleisch und gehen dann ins Bett. Denn morgens um 4.00Uhr beginnt der nächste Tag.

Heute ist Samstag. Habe mit Esther die Wohnung gemeinsam geputzt. Putzen und Arbeiten, das ist ihr Leben. In der Woche arbeitet sie als Haushälterin für einen Architekten. Damit verdient sie 600 Euro pro Monat. 200 Euro schickt sie ihrer Familie nach Ecuador. Bleiben noch 400 Euro. Für Miete muß man mindestens 200 Euro rechnen. Bleiben noch 200 Euro zum Leben. Für den Flug nach Hause wird eisern gespart. ein Job reicht nicht dafür nicht aus. Immigranten aus Bolivien arbeiten für 300 Euro im Monat. Oft die einzige Arbeit, die viele Ungelernte ohne Papiere bekommen. Essen inklusive. Viele leben zu fünft in einem Zimmer, das reduziert die Miete. Alles ist besser als im Heimatland selbst. In Ecuador verdient man im Haushalt 70 - 100 Dollar im Monat. Ein Zimmer kostet 20 Dollar. Das Geld, das im Ausland verdient wird, ist viel wert. Doch Esther ist jetzt nicht merh illegal im Land. Die beiden sind verheiratet. In Spanien ist Südamerika plötzlich ganz nah.

Sonntagsausflug. Das ist der einzige Tag, an dem Marcel und Esther nicht arbeiten. Wir fahren gemeinsam mit einem großen silbernen Jeep zum Teide. Da soll noch Schnee liegen. Mit der Seilbahn hoch, der eisige Wind, die Sicht in den blauen Himmel, unter uns ein Wolkenmeer, Gran Canaria, La Palma in der Ferne. Schnee wird plötzlich zum begehrten Objekt. Marcel war früher Seemann, seine glücklichste Zeit im Leben. Jetzt betreibt er mit einem Partner einen Fleischgroßhandel und verkauft morgens von 4.00 -8.00 Uhr auf dem Großmarkt. Dann geht er in sein Lebensmittelgeschäft. Viel verdient er dabei nicht. Die Leute sind wählerisch geworden und kaufen nur das Billigste. Die internationalen Supermärkte bestimmen den Markt. Einmal die Woche geht er zu seinem Metaphysischen Club. Er glaubt an Ausserirdische und Ufos. Bald will er mit Esther nach Ecuador gehen und dort eine Fleischerei aufmachen. Alles andere ist besser als hier. Überall auf der Welt geht es Leuten so, wie mir in Berlin. Der Ort ist egal. Wenn der Stillstand eingetreten ist. Die Welt, ständig in Bewegung.

Mein erster Samstagabend in Santa Cruz. Ich habe Lust auf Tanzen. Der Versuch beginnt im Tao, die nächste Diskothek in meiner Nähe. Vor 1 Uhr brauche ich gar nicht aus dem Haus zu gehen. Ich fühle mich wie 15. Lassen mich die Türsteher rein? Diesmal nicht weil ich zu jung bin, sondern weil ich vielleicht zu alt bin. An der Theke stehen alle Altersgruppen mit tiefen Decoltés. Die Einrichtung erinnert mich an meine ersten Diskothekenbesuche als ich 15 Jahre alt war. Nichts hat sich geändert. Heute bin ich gelangweilt, die Musik ist schlecht. Damals war es das Größte überhaupt.

Ich pflanze Geranien in leuchtendem Pink vor meinem Fenster und warte auf Regen. Bin eben eine Nordeuropäerin. In Puerto Cruz, wütet der Sturm, der Regen, das aufgewühlte grüne Meer hebt meine Stimmung.

Das Gefühl, auf einem bewegten Schiff zu stehen. Die kleinen Unterschiede des Alltags.

Hier wird anders gespült, zuerst das Geschirr mit viel Schaum einseifen, dann unter klarem Wasser abspülen. Das spanische Fernsehen zeigt noch mehr Werbung, ich schaue jetzt abends Buena Fuente, das gleiche Format wie Harald Schmidt.
Ich staune über die Ähnlichkeit. Sogar die Gesten gehören zum Format.

Ich freue mich über den seltenen Regen.

Das Baguette ist vorzüglich, aber durch das deutsche Brot nicht zu ersetzen.

Gestern den halben Tag im Carrefour verbracht. Ein französischer Konzern, ein Riesensupermarkt. Ich stehe vor endlosen Regalen und weiß nicht was ich wählen soll. Bin überfordert mit dem Angebot. Denn alles ist teuer. Dann werde ich noch zum rechnen gezwungen. Kaufe zwei und das dritte kostet dann 0,60 cent. Ist das tatsächlich billiger? Alles muß doppelt gekauft werden. Konsumterror. Ich vermisse die Discounterläden und bemerke wie günstig Deutschland mit Lebensmittelpreisen ist. Oder wie teuer Spanien ist. Immerhin ist der Milchkaffe sehr günstig.

Es werden Unmengen an Plastiktüten verbraucht.

DIe Wohnungen sind dunkler, die Schlafzimmer klein.

Ich staune über die tiefen Ausschnitte der Frauen auf der Straße und im Fernsehen. Hochhackige Dominaschuhe, stark geschminkte Gesichter mit tiefen Ausschnitten im Parlament, in der Verwaltung, die Verkäuferinnen, Frauen auf der Straße. Für meine Berliner Auge etwas ungewohnt ordinär.

Die meisten Wohnungen werden möbiliert vermietet. Mit schlechtem Geschmack.

Die Arbeitszeiten von 9.00-14.00 Uhr und 17.00-20.00 Uhr. Es wird sehr spät gegessen.

Das Gehalt ist niedriger.

Aber: die lachenden Gesichtern, die Sonne, das Licht, das Meer, der Hafen mit den Containerschiffen und die Landschaft!

Wieder ist Sonntag. Ich fahre nach San Andres, zum schönsten Strand der Insel. Gelber Wüstensand aus der Sahara vor 30 Jahren aufgeschüttet. Ein Wachmann erzählt von Skorpionen und Schlangen, die plötzlich am Strand waren. Mitbringsel aus der Sahara. Bald wird dort ein Hotel gebaut. San Andres, ein kleines Dorf 15 Minuten von Santa Cruz entfernt. José, der Wachmann erklärt mir, wo die Deutschen wohnen. Dort ein Politiker, dort ein Astrophysiker, die Kanaren haben die besten Observatorien der Welt. Das Institut Potsdam ist hier stark vertreten. Zum Abschied spricht er mich auf meine neue Kette an. Die heilige Carmen, Schutzengel der Seeleute! Damit bin ich immer gut angesehen. Ich habe mir den kleinen Anhängsel in einem Reliqiuenladen gekauft, ohne zu wissen was drauf ist. Ich wußte, die Kette passt zu mir.

In Puero de la Cruz sehe ich schon mehr Touristen als in Santa Cruz. Dafür gibt es deutsches Brot. Auch Heidi´s Wanderclub für Senioren und wenig geübte Wanderer, oder Christianes einzigartige Wandertouren, unterwegs mit dem Linienbus können hier gebucht werden. Einen unvergesslichen Tag in freier Natur, mit viel Spaß und Freude erleben, abseits vom Trubel und Lärm. In der Tat, wandern kann man hier wirklich sehr gut.

Sehe durch Zufall ein Schild mit einer Fotoagentur. Sie brauchen einen Fotografen. Mein erster Auftrag fällt ins Wasser. Ich sollte den Bürgermeister mit den Karnevalsköniginnen im Park fotografieren. Das wurde wegen des schlechten Wetters abgesagt. Ich bekomme 15 Euro pro Auftrag. Bis jetzt haben sie sich nicht wieder gemeldet.

Meine Bewerbungen laufen. Bei Zeitungen und Grafikagenturen. Ich habe den europäischen Magendarmvirus und übergebe mich nach einem Vorstellungsgespräch ein der Kasse eines Supermarktes in die Hippodino-Plastiktüten hinein. Ich entschuldige mich, werfe die vollen Plastiktüten in den Müll und lege ich mich zu Hause ins Bett.

Die Welt der Fotografen ist klein. Acfipress kennt Oskar, der für Canaryinfo arbeitet. Ich erzähle, das ich ein Foto bei El Mundo veröffentlicht habe. Christinas Gesicht erhellt sich. El Mundo? Gacetta de Canarias, ein Teil von El Mundo sucht seit einiger Zeit einen Fotografen. Ich stelle mich sofort bei dem Chefredakteur vor. Marcos, Anfang dreißig, sitzt vor mir in einem schwarzen Chefsessel, mit abgekauten Fingernägeln. Ein junges Team, das gut zusammenarbeitet. Ich bin eingestellt. Wenn die wüßten das ich Anfang 40 bin. Das heißt, ich arbeite jetzt auf freelancebasis täglich für die Zeitung und bekomme pro Foto vier Euro. Ich sehe es als Praktikum, lerne viel dabei und kann mir ein Netz aufbauen. Solange ich irgendwie davon leben kann. Das stellt sich noch heraus. Als Grafikerin würde ich 800 - 900 Euro pro Monat verdienen. Auch nicht viel mehr.

Santa Cruz hat auf mich gewartet. Mein erster Job für die Gacetta de Canarias:
Eine eingestürtze Mauer. Die Nachbarn klagen die Stadt an. Einen Schauspieler im Theater, der Direktor des Sinfonieorchesters Köln, verschiedene politische Pappnasen, spanische Spitzensportler auf dem Teide, eine Demonstration gegen das Verbot, auf der Straße zu feiern. Pressekonferenzen, den Präsidenten der Kanaren, wieder ein Politiker, der gerade abgedankt hat. Es ist immer wieder eine Herausforderung, die Situation schnell in ein gutes Bild umzusetzen. Und momentan genau das Richtige! Ich treffe immer wieder die selben Fotografen, der anderen Zeitungen. Es ist ein freundlicher Umgang. Ramon arbeitet für die Agentur Efe und ist auf Teneriffa ständig unterwegs. Mir gefallen seine Fotos. Alex hat vorher für die Gacetta gearbeitet und ist jetzt Acfi-Press, die erste und einzige Fotoagentur auf den Kanaren, die es seit einem Jahr gibt. Alle kennen sich gut. Bei einem Volleyballspiel treffe ich Javier. Er ist eigentlich Tänzer und arbeitet schon seit Jahren für eine Zeitung als Fotograf. Doch das Geld reicht nicht. Nebenbei fährt er Taxi. Jetzt würde er gerne wieder Tanzunterricht geben. Immer wieder etwas Neues machen.

Gestern Pressekonferenz zur Kampagne Kondome zum Karneval. Es werden 150.000 Kondome verteilt. Gegen Aids und ungewollte Schwangerschaften. Der Karneval beginnt am 14. Februar. Heute ist die Karnevalskönigin gewählt worden. Elisabet Garcia, 21 Jahre. Die Hoffnung auf eine Modelkarriere oder Filmschauspielerin ist groß. Oder einfach einmal Prinzessin sein! Doch nach Karneval ist der Alltag wieder grau. Die Kinderkönigin ist schon gewählt. Ein 5 jähriges Mädchen. Die älteren Damen, des sogenannten 3. Alters dürfen auch mitmachen.

Die jungen Mädchen sind umgeben von drei Meter hohem Tüll, Pailletten und Federn. Das ganze Phantasiegebilde gleitet auf Rädern über die Bühne. Wie eine Puppe winken die Mädels den Zuschauern zu. Die Kostüme kosten ein Vermögen zum wegwerfen. 8000 Euro. Gesponsert von verschiedenen Firmen. Elisabeth Garcia hat das Phantasiebild Miss Dior und wird von der Diagruppe gesponsert. Eine reine Werbeveranstaltung. Am nächsten Tag fotografiere ich die frisch gewählte Karnevalskönigin 2007. Journalisten erzählen über den peinlichen Galaabend. Es gibt viel Diskussion über den Organisator und ausserdem, viele Canarios haben keine Lust mehr auf Karneval. Immer wieder das Gleiche.

Freitagabend ist der große Karnevalsumzug. Man sagt, es sei der größte Karneval nach Rio. Das finde ich etwas übertrieben. Ich fotografiere bunte Federn, Glitzer und kurze Röckchen. Allen voran, der Wagen mit der Karnevalskönigin, La Reina, in schwarz und silbernem Neonlicht. Sie kann es kaum glauben. Ihr Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen. Alle winken ihr zu! Sie ist heute die Schönste! Ein Traum! Wie sehr hat sie dafür gearbeitet! Die Menschenmenge am Straßenrand rufen ihr wild gestikulierend »guapa - Schöne«zu.

Die Männer verkleiden sich als schwangere Frauen in Kittelschürzen, amerikanische Soldaten oder Badetouristen. DIe Frauen bevorzugen Polizistenuniforme in kürzen Röckchen oder bunte Perücken mit Federboa. Viele tragen innerhalb einer Gruppe das gleiche Kostüm. So verliert man sich nicht im Gewühl. Abends laufen mir vier weiße männliche Bräute entgegen. Mit Schleier, Blumenstrauß und alles was dazugehört. Der Gang passt so gar nicht zum weißen Kleid. Die Kinder laufen als Prinzessinen, Krokodile oder Batman durch die Straßen. Am nächsten Tag erscheint mir alles wieder normal. Köln scheint mir da heftiger zu sein. Aber der Höhepunkt kommt ja noch. Am Dienstag ist der zweite Umzug.

Die Woche ist wieder vorbei. Sonntag. Es ist immer noch Karneval. Diesmal mache ich einen Ausflug nach Anaga. Das Gebirge im Norden der Insel. Während ich auf den Bus warte, kommt mir ein Rentner mit blonder Lockenperücke, silbernen Wimpern und langem weißen Kleid entgegen. So eine Art Prinzessinnen Look. Die Schulter und die Haare sind mit einer goldenen Kordel verziert. Der rote Lippenstift etwas verschmiert, er ist ja auch schon seit zwei Tagen unterwegs und hat nur drei Stunden geschlafen. Angel fährt zu Mama Afrika, eine Bar auf der anderen Seite der Insel, um dort mit Freunden zu singen. Passanten gratulieren ihm zu seinem schönen Outfit. Ansonsten bemerke ich nicht viel vom Karneval. Nach meinem Spaziergang treffe ich die Rentnerprinzessin mit dickem Bauch in der Bar Mama Afrika. »Ah, meine deutsche Freundin! Komm zu uns!« Zwei Gitarrenspieler und der ganze Tisch singt mit. Ich werde zum Kaffee eingeladen und muss mit Prinzessin tanzen. Um 18.15 h fahren wir gemeinsam mit dem Vorletzen Bus nach Santa Cruz. Er weiter auf Piste, ich nach Hause.

Montag kaufe ich mir eine Federboa zum feiern. Vielleicht finde ich ja doch noch jemand, der mit mir auf Piste geht. Meine Mitbewohner sind zu müde. Und ich liege leztendlich krank im Bett. Habe auch den zweiten Umzug am Dienstag für die Gacetta fotografiert. Nun kommt meine Federboa doch noch zum Einsatz. Sehr sInnvoll gegen meine Halsschmerzen. Ich bin total erkältet und so gar nicht in Karnevalsstimmung. Am Mittwochabend wird die Sardine verbrannt. Alle sind diesmal in schwarz kostümiert. Männer in Frauenkleidung mit großen Dildos und aufgeblasenen Busen. Karneval besteht eben aus Alkohol und Sexmöglichkeiten. Das ist hier nicht anderes als in Köln. Ich habe beides ausgelassen.

Mein spanischer Alltag sieht nun so aus:
Aufwachen, die Termine per sms von Marcos, dem Chefredakteur, lesen, Fotos machen, ich mache alles zu Fuß. Mit Auto hat in der Innenstadt keinen Sinn. Bis jetzt habe ich drei bis vier Termine. Fotos schicken, im Internetcafe sitzen und abends fernsehen schauen. Gleich kommt Doktor House, eine amerikanische Serie. Gut zum Spanisch lernen.

Santa Cruz im März

Meine Seele ist jetzt auch in Santa Cruz angekommen. Ich bin nicht mehr krank, und habe mich in meiner neuen Welt so einigermaßen eingerichtet. Der erste Alltag stellt sich ein, Wiederholungen sind doch manchmal sehr hilfreich im Leben.

Es ist immer noch Karneval. Der Sonntag ist für die Kinder reserviert. Schwarze Batmans, rosa Prinzessinnen und grüne Krokodile bevölkern die Fußgängerzone von Santa Cruz. Die fünfjährige Karnevalskönigin sitzt zwischen einem riesigen Schloß aus Pappmaché und winkt der Menschenmasse zu. Las Vegas auf Teneriffa.

Die Marine I liegt immer noch im Hafen. Der verrostete Frachter hat die letzte Reise hinter sich. 372 Immigranten an Bord, die meisten aus Kashmir. Manche verbrachten zwei Monate an Bord. Der Eigentümer des Bootes ist unauffindbar. Der Kapitän geflüchtet. Mit Motorschaden schwamm das Schiff vor den Küsten Mauretaniens. Nach tagelangen Verhandlungen sind die meisten Reisenden in ihr Heimatland zurückgeflogen worden. 23 Menschen, die ihre Herkunft verschweigen, warten seit sechs Wochen auf eine Entscheidung im Hafen von Nuhadibu, Mauretanien. Jeder Passagier bezahlte 3000 Euro. Insgesamt brachte der verostete Fischkutter über eine Millionen Euro ein. Ein gutes Geschäft. Das verlassene Boot riecht nach Menschen, Angst und Hoffnung. Auf eine Holztafel steht der Hilferuf »Save our lives!« Ein weißes T-Shirt weht im Wind. Die letzte Reise ist vorbei. Bald wird das Boot wir im Meer versenkt.

Schwere Regenwolken ziehen tief über das bleistiftgraue Meer. Es tröpfelt langsam vor sich hin. Die Canarios packen ihre Sachen ein. Sie wissen, das wird ein starker Regen. Die Strandbar Carmelo hat noch geöffnet. Der Papagei schreit, die laute Latinomusik versetzt die Barkeeper in gute Stimmung. Es dauert nicht lange und der Regen fällt wie eine Wasserwand auf den sandigen Boden. Der Horizont verschwindet im nebligen Grau. Blitze und Donner wechseln sich ab. Die Möwen versammeln sich am Ufer. Eine Frau geht mit Regenschirm im Wasser spazieren. Mittlerweile habe ich schon mein zweites Bier getrunken und die Toiletten sind weit entfernt. Die Barfrau stellt mir einen Putzeimer hin, zaubert einen Vorhang hervor und der Ort wird zu meiner Toilette. Danach kann noch ein weiteres Bier getrunken werden.
Im Wohnzimmer finde ich ein See von Regenwasser vor. Ich fühle mich wie in einem Aquarium. Der Regen übertönt jedes Geräusch. Ein befreiendes Gefühl.

Im Mai sind Wahlen. José López Aguilar ist der neue Kandidat der Psoe (SPD). Die Coalition Canarias hat ihn als spanischen Kanarier beschimpft, weil er die Aussprache eines Festlandspaniers hat. Das c wird hier südamerikanisch ausgesprochen. Er wurde von Madrid geschickt. Kleine Buchstaben entscheiden über die Zugehörigkeit. Am Wochenende hat die Coalición Canarias sich gefeiert. Eine konservative, rechte Partei, die seit Jahren die Insel regiert. Zu ihren Errungenschaften gehört das Auditorium von Caladrava, das dreimal soviel gekostet hat wie geplant, die Straßenbahn, die keiner benutzen wird und der Containerhafen im Süden der Insel. Dieser Hafen entsteht trotz Naturschutzgesetze. Weiter geplant sind neue Touristenzentren in San Andrés. Einkaufscenter und Hotels. Man sagt, alles Korruption. Es gibt immer wieder Demonstrationen der Bewohner, die gegen den Ausbau des Teresitas-Strandes sind. »Sie wollen uns Anaga rauben!« Steht auf den Schildern.

Das Parlament, die Verwaltung, oder das Cabildo sind meine neuen Arbeitsstätten. Im Cabildo, die Inselverwaltung, erinnern realsozialistische Wandgemälde aus Francos Zeiten an DDR- oder Sowjetmalerei. Muskulöse Bäuerinnen mit Kindern, Fischer schauen während der Pressekonferenzen in die Ferne.

Auf einer Pressekonferenz wird das Thema Kommunikation vorgestellt. 2008 sollen 1400 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Kommunikationsmarkt zwischen Afrika und Europa ist für die Kanarischen Inseln eine gute Möglichkeit Geld zu verdienen.
Andere Pressekonferenzen stellen das Thema Natur und Wanderwege auf Teneriffa vor, Rechte für Kinder, eine Schriftstellerin liest aus ihrem Buch, und oft weiß ich auch gar nicht was los ist. Mache mein Foto und gehe.

Ich schiebe mich zwischen Putzfrauen mit roten Fahnen und Trillerpfeifen hindurch und fotografiere. Die Putzfrauendemo verlangt bessere Löhne und würdigere Arbeitsverhältnisse.

Santa Cruz im Mai

Santa Cruz wird zum Alltag, die Plätze allgemein. Um 10.00 Uhr findet im Präsidium eine Tourismuskonferenz statt, zur gleichen Zeit eine Pressekonferenz in der Stadtverwaltung. 11.00 Uhr eine Demonstration gegen den Verkauf vom Teresita Strand. Die Zeit zwischen 14.00 und 17.00 Uhr verbringe ich meistens zu Hause.

Um 18.00 Uhr stellt ein Schriftsteller sein neues Buch im Corte Inglés vor. »Francos verborgener Sohn«. In der Pressekonferenz der Hip Hop Band »Public Enemy« entsteht eine Diskussion über afrikanische Immigranten. Fühlen sie sich als reiche Amerikaner mit schwarzer Hautfarbe verbunden mit den armen Afrikanern mit schwarzer Hautfarbe? Ein Immigrant aus Sierra Leone muss für die abendliche Show seinen Platz räumen. Täglich sitzt er auf einer Bank mit einer Plastiktüte und geistesabwesendem Blick. Um 20.00 Uhr spielt Tenerife Rural, das berühmte Basketball Team.

Die Redakteure der La Gacetta haben sich Eselsbrücken für meinen Nachnamen gebaut:
Bart wie Bart Simpson und Zen wie die Meditation. Eine interessante Etymologie.

Ich fotografiere Christina Tavío, Kandidatin der Partido Popular mit ähnlichen werten wie die CDU. Sie führt glühende Reden in der Welt des Debattierens und der Macht. Mit silbernen Leggins, dazu passende Pumps präsentiert sie ihr Programm.
Sie kommt aus einer der reichsten kanarischen Familien. Der Familienbesitz basiert auf Bananenplantagen. Ihr Exmann ist Esther´s Chef. Daher kenne ich ihren Scheidungstermin und weiß, dass sie verschiedene Lover außerhalb der Insel hat.

Durch den Internetanschluß in der Wohnung habe ich mindestens eine Stunde mehr Zeit pro Tag.
Seitdem frage ich mich, was ich denn in meiner Freizeit mache?

Sonntags am Teresitastrand zwischen den Familien und sonnengebräunten Jugendlichen.
Nummer 910 fährt die Menschenmassen zum Strand. Brüste fallen aus den Ausschnitten, kurze Miniröcke mit goldenen und silbernen Gürteln verziert. Bolivianisches schwarzes Haar weht mir ins Gesicht.
Der Friedhof vor dem Strand ist durch eine weiße Mauer eingegrenzt. Die vielen Kreuze vermischen sich für einen Moment mit den Menschen am Strand, die aus der Ferne wie bunte Punkte erscheinen. Ich laufe durch heißen, gelben Saharasand zum Wasser. Kinder spielen mit ihren Vätern in der Brandung, ein müdes Plätschern zwischen Sand und Wasser. In meiner Lieblingsbar Carmelo schreit der grüne Papagei zur Latinomusik. Die Barkeeperin aus Venezuela macht mir einen Kaffee mit viel Milch. Sonnengebräunte Dominikanische Jungs spielen vor unseren Augen Baseball. Schwitzende, glänzende Körper im Sand. Auf hoher See wartet ein Öltanker auf das Löschen seiner Ladung. Ein weißes Kreuzfahrtschiff verschwindet in der Ferne in Richtung Gran Canaria, kleine Segelschiffe im blauen Meer. Die grünen Berge spiegeln sich türkisfarben im Meeresblau wieder, der Wind erzeugt glitzernde Diamanten auf der Wasseroberfläche. Die Badenden ignorieren den Wind, der den Sand auf ihre eingeölten nackten Körper fegt.

1797 bedrohte Admiral Nelson mit mehreren Kriegsschiffen und 1200 Mann die Insel. Die Kanarier versenkten eins seiner Schiffe und Nelson mußte aufgeben. Seine einzige Kapitulation. Dabei verlor er auch noch einen Arm. Das wird im Militärmuseum am Tag der Streitkräfte gewürdigt. Schulkinder erhalten Preise in Form einer Kanone und strahlen für das Foto.

In unseren Zeiten kommen keine Invasoren mehr, dafür Touristen. 2006 besuchten über 10 Millionen Touristen die Inseln und hinterließen der Bevölkerung 12,6 Milliarden Euro. Gestern lagen drei Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Santa Cruz und schwemmten 4400 Touristen für ein paar Stunden an Land. Wenn jeder einen Milchkaffe trinkt...

Ricardo Melchior, der Präsident der Inselverwaltung ist mir durch das Objektiv sehr vertraut. Ein sympathischer Politiker mit rundem Gesicht und gutmütigen braunen Augen. Er ist gerade 70 Jahre alt geworden. Auf der letzten Pressekonferenz hat er mich schwer beeindruckt. Er sprach im perfekten Deutsch und Englisch über die Touristen, die zeitweilig auf der Insel leben. Sein zweites Studium des Ingenieurwesens hat er in Aachen absolviert. Ich war über mich selbst erstaunt, wieviel näher ein Mensch erscheint, der die gleiche Sprache spricht. Es ist ja nicht nur die Sprache, sondern auch Denkweisen die in jeder Kultur anders sind. Er bedauert auf diplomatische Weise, dass die ansässigen Ausländer kein Spanisch verstehen. Sie Leben in ihrem eigenen Ghetto. So wie die Türken in Deutschland. Ist es Bequemlichkeit? Desinteresse? Nichtachtung der fremden Kultur gegenüber? Vor ein paar Tagen hat sich dieses Vorurteil gegenüber Deutschen bestätigt. Tino aus Berlin arbeitet seit zwei Jahren als Systemadministrator bei der Megawelle, ein deutsches Blättchen. Er spricht immer noch kein Spanisch. Und das stört ihn überhaupt nicht. Ricardo Melchior ist ein Politker, der sich in jeder Kultur zurechtfindet. Die meisten Spanier lernen sehr schwer andere Sprachen. Dieses Phänomen erscheint bei allen großen Sprachgruppen. Für Amerikaner, Russen oder Spanier ist eine Fremdsprache unwichtig. Sprache bedeutet politische Macht.

Eine unbestimmte Sehnsucht überfällt mich. Nach keinem Land und nach keinem Menschen. Die Welt gehört mir. Manchmal schwimme ich in einem Meer der Vergangenheiten. Will ich denn irgendwo ankommen? Immer auf Teneriffa? Doch diese Frage stellt sich momentan nicht. Jetzt ist hier. Warum so viele Gedanken verschwenden? Ich arbeite jetzt für die La Gacetta, was in einem Jahr ist, werde ich sehen.
Das Land der Illusionen und der Freuden. So hieß es bei den Griechen. Vor 200 Jahren war die Reise zu den Kanaren noch ein Abenteuer. Humboldt beschrieb die Kanaren als eine wilde großartige Natur an der Grenze des heißen Erdgürtels. Kein Ort schien geeigneter zu sein als die Kanaren, um die Schwermut zu bannen. »Wenn man im Orotavatal ist, begreift man, eine der glückseligen Inseln gefunden zu haben.« schrieb Humboldt.

Die heiße afrikanische Sonne wird durch die ständig wehenden Passatwinde in ein angenehmes Klima umgewandelt. Die Inseln des ewigen Frühlings. Der Nordost-Passat machte damit den Dreieckshandel der frühen Neuzeit möglich. Europäische Segelschiffe segelten an der afrikanischen Westküste nach Süden bis sie auf den Nordost-Passat trafen, der sie nach Westen trieb. Dort nutzten sie die Meeresströmungen, um aus dem Golf von Mexiko nach Norden zu kommen, von wo die Westwinde der Nordhalbkugel sie wieder nach Europa zurückbrachten. Vielleicht sollte ich einfach den Passatwinden folgen. Die Kanarischen Inseln galten als Zwischenstation, bevor die Schiffe nach Amerika weiterfuhren. Venezuela wird als achte Insel der Kanaren gesehen. Auch die Bounty mit Kapitän Cook lag im Hafen von Santa Cruz, bevor sie ihre Weltreise bis zur Südsee fortsetze.

Arancha ist eine von meinen vielen Mitbewohnern, die ich nie sehe. Sie arbeitet in einem Café und macht Crepes. Ich besuche sie zum Feierabend und wir gehen gemeinsam in eine kleine Bar, Guinea Conakry. Arancha wiederholt immer wieder dass ich mich nicht erschrecken soll. Wovor? Vor der schwarzen Hautfarbe? Sie betont mehrmals, dass sich viele Schwarze in dieser Bar aufhalten. Wie eine Verschwörung, etwas Schmutziges, Verbotenes. Der Barkeeper, mit kunstvoll geflochtenen Haaren und goldener Halskette lacht mich freundlich an und gibt mir ein Bier. Ein junger Typ aus Guinea Conakry schwärmt mir von Deutschland vor. Dort bekomme man Geld vom Staat. Er lebte zwei Jahre in Düsseldorf, bis er ausgewiesen wurde. Dann war er eine Weile im spanischen Gefängnis. Die Ursache erfahre ich nicht. Viele verkaufen Drogen, die einzige Chance etwas Geld zu verdienen. Die Polizei schließt um 4.oo Uhr morgens die Bar und wir gehen
nach Hause.

Marcel und Esther streiten sich wie Katz und Maus, oder wie man hier sagt wie Hunde und Katzen. Ich verstehe nicht ganz worum es geht, aber das versteht man ja als Außenstehene nie so ganz. Letzte Nacht schlief Esther im Wohnzimmer, habe Angst, dass sie auszieht. Mit ihr fühle ich mich am meisten verbunden. Marcel scheint andere Liebschaften zu haben oder vorzutäuschen. Sie hat kein Vertrauen zu ihm. Die beiden sind seit einem Jahr zusammen. Esther ist 18 Jahre jünger und dachte, besser einen älteren Partner, der verläßt mich nicht so schnell. Leider nutzen ihre Gedankengänge wenig. Esther ist Marcel´s fünfte Frau. Er kommt jeden Abend gegen 20.00 Uhr nach Hause, wenn sie das Essen schon vorbereitet hat. Nachdem die Küche wieder glänzt und er vor dem Fernseher eingeschlafen ist, gehen beide um 22.00 Uhr ins Bett.

Gelbe und orangefarbene Kapuzinerkresse an der Autobahn. Blaue Blütenpracht auf den Bäumen. Bunte Stiemütterchen, rote und lachsfarbene Begonien in den Gärten. Rosafarbene Petunien an den Strassenkreuzungen. Weiße, rote und gelbe Hibiskusblüten strahlen den blauen Himmel an.

Meine Arbeit führt mich in barocke Gebäude mit warmen Holzböden und kühlendem Marmor. Diese üppigen Stuckdecken und Verzierungen wünsche ich mir in unserer Wohnung. Die öffentlichen Gebäude sind opulent, die privaten Wohnungen geschmacklos. Schwarzer Granitstein, gelbe Vorhänge und eine Wohnzimmergarnitur mit senfgelben Schondecken. Wo es nichts zu schonen gibt. Die gelbbraun karrierten Sofas sind verbraucht und alt. In Gold eingerahmte nichtssagende Landschaften hängen lieblos seit Jahrzehnten an den weißen Wänden. Ein Kalender vom chinesischen Restaurant aus dem Jahr 2006 stört nutzlos mein Auge. Im spanhölzernen Wohnzimmerschrank weitere drei Kalender, irgendwann hingestellt und vergessen. Wenn ich mich so umschaue, sehe ich kein einziges geschmackvolles Objekt. Die blaukarierte Plastiktischdecke wird von gelben Zitronen und roten Johannisbeersträußchen unterbrochen. Videobänder zieren das Regal. Der Fernseher mit Stereoanlage und DVD-Player beleuchten in der Nacht das Zimmer. Rot, Grün, Grün, Rot. Ein Kühlschrank in der Küche, mein Kühlschrank direkt neben dem Fernseher im Wohnzimmer. Im Schlafzimmer existiert der dritte Kühlschrank. Esther erzählt von den Tagen, als sie hier einzog. Kakerlaken, Küchenwände mit braunem alten Fett, Müll. In jedem Zimmer brannte Licht zu jeder Tageszeit. Marcel wohnte mit zwei Kubanern und einem Pärchen aus Bolivien zusammen. Esther arbeitet als Putzfrau in einem Architektenhaushalt. Seitdem sie hier wohnt, riecht es nach Putzmittel und professioneller Sauberkeit.

Sonntag, 27. Mai sind Wahlen in Spanien.
Die Coalición Canaria besteht seit 1993 und entstand aus einer Gruppierung von Nationalisten, Konservativen und Exkommunisten. Sie wirbt mit Riesenplakaten »Ich erfülle« Miguel Zerolo, der Bürgermeister von Santa Cruz. Die Werbekampagne kostete 9 Millionen Euro. Zerolo hat das Auditorium bauen lassen, anstelle des Hospitals im Norden, was dringend gebraucht wird. Das Auditorium kostete dreimal soviel wie geplant. Dafür ist es vom berühmten Architekten Caladrava gebaut. Er wirbt mit der neuen Straßenbahn, wir sind jetzt eine Weltstadt. Und es sollen noch mehr Möglichkeiten für Touristen gebaut werden. Der Teresitastrand wird vor den Wahlen noch heiß diskutiert, da der Kauf nicht gültig sei und durch Korruption entstand. Miguel Zerolo verspricht kabelloses Internet für die ganze Stadt, und weitere Kindergärten.

Der Präsident von CCN, Ignacío Gonzalez, ist einer der reichsten Männer der Insel. Er will die Bedürfnisse der Bewohner mit einem Strand in Santa Cruz befriedigen.«Tú y Yo« »Du gleich Ich«

PSOE, ähnlich der SPD, wirbt mit dem Spruch: »Wir machen mehr« Veränderung mit kanarischem Akzent

Die PP, ähnlich der CDU haben ein eigenes Programm, das sie nicht kopiert haben, so wie alle anderen. Die PSOE sei vergiftet und die anderen seien auch nicht besser, deshalb werden sie die Wahlen gewinnen. Bis jetzt werden alle die Wahlen gewinnen. Die PP verspricht dem Volk ein sicheres Leben mit mehr Polizei, 20.000 neue Arbeitsplätze, 6000 neue Wohnungen, 20 Kindergärten, 20 Tagesstätten und Freizeitgestaltung für die ganze Familie in Santa Cruz.

Im Auditorium feiert die Coalición Canaria sich selbst. Ricardo Melchior, der Präsident der Inselverwaltung wird von Frauen mit sehr hohen Pumps und farbenfrohen Kleidern wie ein Popstar empfangen. Kanarische Musik im Hintergrund.
»Hecho en Canarias« ist ein weiterer Parteispruch. (Made in Canarias)

Die PSOE feiert sich ein letztes Mal vor der Wahl im Messegebäude. Rote Fahnen schwenken mit roten Rosen aus dem applaudierenden Menschenmeer. Juan Fernando López Aguilar begrüßt die Masse mit hochgekrempelten Hemdsärmeln. Aus der Menge wird »guapo« geschriehen. Felipe Gonzalez, der ehemalige Präsident Spaniens unterstützt die Partei. Eine Jazzband heizt die Stimmung an.

Die Partido Popular, PP, nimmt den ehemaligen Präsidenten Aznar zur Wahlunterstützung. Christina Tavío hebt besonders hervor, dass dieser Besuch als Beweis für ihre gute Arbeit auf Teneriffa ist.

In Punta Brava, schießen Feuerwerke in den Himmel. Auf dem Dorfplatz sind Scheinwerfer und Plakate aufgebaut. Musikalischer Hintergrund erinnert an ein Fest, dabei ist es eine Wahlkampagne der PSOE. Die zukünftige Bürgermeisterin tritt in hohen Pumps und bunt bedrucktem Kleid vor die Menschenmenge. Sie atmet noch einmal tief durch, bevor sie auf dem Podium die Massen zu begeistern weiß. Alle rufen, Lola, Lola, guapa! Was aufmerksame Leser inzwischen auch wissen, die Schönheit wird hier aussergewöhnlich vielseitig benutzt. Lola Padrón verspricht einen neuen Anstrich auf dem Dorfplatz, bessere Verbindungen zur Hauptstadt und Chancen für die Jugendlichen. Frauen, alte Menschen und Kinder sind bei allen Parteien Wahlprogramm. Lola Padrón kann ihre Vorschläge dem Publikum realistisch darbieten. Ich glaube ihr. Alle Kandidaten stellen sich vor, vom Studenten bis um Unternehmer. Wir sind vorbereitet, wir sind präpariert für die neuen Regierung! Wir werden gewinnen! Wir wollen den Wechsel! Ein Tumult, rote Fahnen werden geschwenkt. Lola, Lola, Lola!

Noch eine Woche bis zur Wahl. Die drei möglichen Präsidenten werden in der Tageszeitung »El Dìa« vorgestellt. Ein Wassermann, ein Steinbock und ein Zwilling bewerben sich für die Präsidentschaft. Paulino Rivero, Coalición Canaria wollte früher Fußballer werden und sein Lieblingsgericht ist Papas Arugadas, ein kanarisches Gericht. Juan Fernando Aguilar López, PSOE wäre gerne Architekt geworden und liebt den Strand. Der PP-Kandidat Soria möchte nach den Wahlen in die Kirche gehen und danach im Haus seiner Mutter mit seiner Familie gemeinsam essen.

Die Mitglieder der PSOE strahlen. Sie haben die Mehrheit auf den Kanaren erreicht. Ein Ergebnis wie noch nie. Zapatero, der amtierende Präsident, beglückwünscht Juan Fernando López Aguilar. Aber die absolute Mehrheit zum regieren haben sie nicht. Die Coalición Canarias strahlt, weil sich nichts änderen wird. Die PP strahlt, sie werden gemeinsam mir der Coalición Canarias regieren. Alle sind Gewinner der Wahlen 2007.

Die Partido Popular erklärt in einer Pressekonferenz, dass keine Partei die absolute Mehrheit zum regieren hat, die politische Landschaft ist vielseitiger geworden und es gibt keinen echte Veränderung. DIe Bevölkerung hat entschieden.

Das Basketballteam Socas Canarias hat ein wichtiges Spiel gewonnen. Ab jetzt steigen sie eine Gehaltsklasse höher. Das Geld für den Basektball muß anders verteilt werden. Turnschuhe fliegen durch die Menge, Wasserflaschen werden ausgeschüttet und die Trainer in die Luft geworfen. Javi Román hängt sich das abgeschnittene Basektballnetz als Trophäe um den Hals. Die Menschenmenge schreit frenetisch, die Spieler bedanken sich für das Angagement der Fans. Schwitzend fallen sich zwei Meter große Sportler in die Arme, Fotografen und Kamerateams mittendrin. Jakim Donaldson, der Star aus Amerika läuft auf Strümpfen über das Spielfeld und schlägt die Trommel des Fanblocks. Fremde Menschen werden abgeküßt wie gute Freunde, wir sind alle ein Team und ganz Canarias hat heute gewonnen. Der Männerschweiß ist ein Cocktail aus Adrenalin und Serotonin. Zum Gruppenfoto lassen sich alle auf den Boden fallen, ein Klumpen freudiger Menschenmasse liegt enthemmt über und untereinander. Aufgeladen verlassen alle das Stadion.

30. Mai, »Dia de Canarias«, schon wieder ein Feiertag. Es gibt traditionelle Kanarische Küche gratis, dazu Sangria oder Rotwein. Papas arrugadas, gesaltzene Pellkartoffeln, Bohnen, und geräucherten Käse. Serviert von Frauen mit langen bunten Röcken aus schwerem Stoff, und Strohhüten auf dem Kopf. Kanarische Livemusik mit Gitarrenklängen und durchdringenden, klagenden Stimmen erfüllen die Luft.

Santa Cruz im Juni

Endlich gehört der dunkelblaue Renault Clio, Baujahr 1995 mir! Mein erstes Auto!
Claudia und Petra kommen spontan für eine Woche vorbei. Erstes touristisches Highlight: der spanische TÜV. Poli fährt mit mir über den TÜV. Ich lerne neue spanische Vokabeln, wie Blinker, Handbremse, Scheibenwischer oder Lenkrad.

Wir fahren zum Teide über den Wolken, durch nebelnasse Wälder über die Autobahn in die Stadt. DIe Canarios sind äußerst freundlich und geduldig. Auch ich muß jetzt die Fußgänger über die Straße lassen.

In Puerto de la Cruz ist die Hölle los. Die Virgen de la Carmen, Schutzpatronin der Seeleute wird von einer Menschenmasse zum Hafen begleitet. Mit schmerzverzerrten Gesichtern tragen einige Seemänner die Statur auf ihrem Rücken durch die Stadt. Das Gesicht der Jungfrau schaut regungslos über ein Meer von Menschen in die Ferne. Dort wo etliche Seemänner nie wieder zurückgefunden haben. Die Sehnsucht, das Warten auf die Rückkehr der Fischer, das Meer. Bei 30 Grad Hitze springen die Menschen ins Wasser, als sei es der heilige Ganges in Benares. Durchnässte, muskulöse Seemänner laden die heilige Carmen auf´s´Boot. Der Motor springt an, wichtige Politiker begleiten die Jungfrau auf ihren Meeresausflug. Einmal im Jahr darf die heilige Carmen das Meer sehen, die salzige Luft einatmen, einen Blick auf die dort draussen verbliebenen werfen und einen segnenden Schutz über die Küste bis zum endlosen Horizont ausbreiten. Motorboote, Surfer, Kanus, Schwimmer und Segelboote begleiten sie ausgelassen auf ihrer Reise. Alle trinken Bier, feiern, sind glücklich.

16.000 Menschen zwischen Organic Chill Out, Crystal Stage und Windmühlen. Eolica, das beste Musikfestival Europas. Der Eintritt kostet 25 Euro. Ich versuche es mit einer Akkreditierung. Die Presseabteilung sucht mich auf der Gästeliste vergebens. Dann hat die La Gacetta mich bestimmt vergessen. Sofort ruft die Pressezuständige Raquel, die Kulturredakteurin, an. Hier steht eine Frau mit einer Kamera, kennst du sie? Marcos, und Raquel wissen von nichts. Ich komme trotzdem rein und mache Fotos.
Luis Groove und Timetourist spielen ihren Sound. Wiederverwendbare Energien werden vorgestellt, tanzende junge Menschen mit blau gefärbten Zungen und braunen Oberkörpern. Stolz zeigt mir ein Italiener seinen dicken Bauch auf dem Nomad eintätowiert ist. Die Tatooreise geht noch weiter bis zur Unterhose, die er zur besseren Sichbarkeit herunterzieht. Seine Pobacken zieren zwei orangefarbene üppige Blumen.

Wieder kommen Immigranten mit einem kleinen buntbemalten Holzboot an. Miguel wartet auf mich in Los Cristianos. Mein erster Trip mit meinem Auto alleine in den Süden. Ich komme mir fremd vor, wie auf einer anderen Insel. Die restlichen Immigranten sind schon an Land. ich komme pünktlich zu spät. 90 Afrikaner sind auf hoher See ertrunken. Die Suchaktion ist abgeschlossen. Diese Ankunft der Immigranten ist für ein gutes Foto unbefriedigend. Immer wieder das gleiche Bild. Desolate, traurige, erstaunte Gesichter, die es kaum fassen, die Reise überlebt zu haben. Alle die gleichen Emotionen, alle Trainingshosen, T-Shirt und Mützen. Plastiktüten vom Roten Kreuz. Immer gleiche Informationen. Die Anzahl der angekommenen Personen, ein paar Minderjährige, ein Verletzter oder Tote. Die Schiffe kommen mit einer sommerlichen Regelmäßigkeit seit Jahren im Hafen von Los Cristianos an. Routine. Mich interessieren diese Fotos nicht mehr. Aber wie haben die Menschen 10 Tage auf diesem Boot zugebracht? Die Gefühle, die Sehnsüchte, das Warten, die Angst, das Wetter, das Wasser, das Essen, die nächsten Nachbarn, die Toilette. Der Tod?

Auf der Autobahn von Puerto de la Cruz bis Santa Cruz ist mein Auto dampfend liegengeblieben. Was tun? EIn Geräusch gehört nicht zum Motor. das Auto wird immer langsamer. Ich muß runter von der Autobahn und bleibe genau in der Ausfahrt Sauzal liegen. EIn anderes Auto hält und sieht mich etwas ratlos auf mein Auto starren. Ein Abschleppwagen kommt durch Zufall vorbei. Ich will es immer noch nicht wahrhaben. Nein ich brauche keinen Abschleppdienst. Welche Versicherung haben sie? Linea directa bezahlt. Hier ist eine Ausländerin, die mit ihrem Auto liegengeblieben ist. Mein Auto wird auf die Laderampe gefahren, ich kann es immer noch nicht glauben, da ich doch 10 Minuten vorher noch mit 100 h/km über die Autobahn flog. Wir fahren nach Santa Ursula. Das Auto muß in die Werkstatt nach Tacoronte. EIn Wasserschlauch ist geplatzt. Ich habe nicht auf die Temperatur geachtet. Der Zeiger blinkte rot. Das bedeutet mindestens 400 Euro Schaden. Der Taxifahrer kannte sich aus.
Eine teure Erfahrung. Die Besitzerin der Abschleppfirma erzählt auf der Veranda mit Blick zum Orotavatal. Frösche quaken, das sanfte Rauschen der Autobahn mitten in der Naturidylle. Sie war mit ihrem Ehemann in Deutschland und ist fast verhungert. Das Essen hat ihr nicht geschmeckt und es war immer wenig. Und die Straßen, leer! Die Leute leben nicht richtig und für sie gibt es dort keine Lebensqualität. Grau, traurig und öde.

Es ist wieder Sonntag und ich bin in Taganana. Die Strände sind berühmt für ihre hohen Wellen. Ich treffe wieder die spanischen Leute im Restaurant am Strand. Nach dem Essen zwei Gittaren und eine kräftige Frauenstimme: »Ich möchte nur, das du mir das Leben schön machst.«

Ein Fotograf von La Opinión, Jonay, ist deprimiert. Sein Blitz funktioniert nicht mehr und er hat kein Geld. Die armen Fotografen. Hier hat die Ungerechtigkeit ihren Höhepunkt. Wir brauchen ein Equipment was mindestens 7000 Euro kostet, und arbeiten für einen Hungerlohn.

Die La Gacetta gehört einem ehemaligen Boxer. Martinez hatte eine Kette von Geschäften, die Elektrogeräte verkaufen. DIe Druckerei gehörte auch ihm. Dort wurden viele Zeitungen gedruckt. Sogar die El País. Jetzt gehört ihm nur noch die La Gacetta, Mitteilhaber El Mundo. Jetzt muß die La Gacetta Strafe bezahlen, wenn sie zu spät die Daten liefert. Es gab schon immer Geldprobleme. Die Martiñez Geschäfte wurden unter der Bedingung verkauft, das der Name weitergetragen wird. Martiñez ist ein guter Freund von Miguel Conception, dem Fußballpräsidenten mit dem undurchsichtigen Mafiagesicht und einer der reichsten Männer der Insel. Reich geworden ist er mit dem Straßenbau. Jetzt besitzt er 9 Firmen. Unter anderem: Islas Airways, Schiffsfähren zwischen den Inseln, und einiges mehr.

Inhaber haben immer Geld und oft Geldprobleme. Ich bekomme kein Kilometergeld. Diese Information hat mich bis zum Boden zerstört. Maria Elena, die Kubanerin tröstet mich mit einem Café. Die La Gacetta ist keine Zukunft.

Währendessen wir in Santa Cruz bei 40 Grad schwitzen, brennt der Nordwesten ab. Pinien, Eukalyptusbäume, Häuser. Das Satelittenbild ist beeindruckend. Dicke Rauchschwaden ziehen in Richtung Westen. Dafür rufen mich viele Leute an.

Meinen Geburtstag habe ich einen Tag vorher in einem Restaurant Mit meiner verrückten Mitbewohnerin die alkoholikerin ist und Drogen nimmt, einem Afrikaner aus Sierra Leone den ich kaum verstehe, und der sehr genre mit mir zusammen wäre,  Ramón, einem Fotografen den ich sehr schätze und mit dem ich gerne zusammen wäre, wenn er nicht verheiratet wäre und zwei Kinder hätte und Eli aus Barcelona, feier ich im Los Reunidos meinen Geburtstag. Arancha dreht immer mehr auf, bis sie keiner mehr versteht. Ich dachte es sind meine Sprachprobleme, aber Ramón hat sie irgendwann auch nicht mehr verstanden.

Mich hat der Blues. Mit Ramón in einem Cadillac ein Arm aus dem Fenster, Musik, Landschaft, von Chicago bis Memphis. Erinnerungen an Billy. Die Erinnerungen werden wieder lebendig. Wie eine Spirale.

Für 100 Millionen Euro schaut La Palma in die tiefen des Universums. Das beste Teleskop der Welt.


Die Sonne brennt unbarmherzig, das Wasser ist knapp, Ich brauche die Herausforderung bis zur Grenze. Die Berge wie ein kleines Tibet. Wenn man sich verläuft, kein Handyempfang. Abgeschnitten von der Welt. Die Wanderung zum Antequera Strand ist ein Erlebnis wie Robinson Crusoe. Derr Strand ist nur mit Boot zu erreichen, oder eben durch wandern. ich teile den Strand mit drei anderen Menschen. Ich frage mich woher sie kommen und wie sie hier jemals wieder wegkommen. ich muß auf jeden Fall wieder den Barranco hoch über Stock und Stein. Weidende Ziegen schauen mich erstaunt an. Ich suche immer wieder den Weg, Sackgasse, über Stock und Stein, dann wieder ein Pfad zu sehen. Zurückgehen, umwege gehen. Das ist ja wie im wahren Leben.

Im Dorf Igueste de San Andres treffe ich einen 70 zig jährigen Mann. Er geht den Weg bis zum Gipfel zweimal die Woche. Donnerstags und Sonntags. Ich staune. Der Weg führt steil hoch und belohnt mit einem phantastischen Panorama über das Anagagebirge bis zum Teide. Die Küste, die grünen Berge das blaue Meer die Wolken. Das Sonnenlicht streift unwirklich die grünen Berge.


Beim Fotografieren des eines Fußballers am Flughafen mein erstes Ticket bekommen. Sehr wahrscheinlich 90 Euro. Heute ist nicht mein Tag. Um 6:30h aufgestanden, zum ersten Fototermin kam ich zu spät. Alle Läufer waren schon weg.

Jetzt komme ich schon wieder zu spät. Der Polizist schreibt gerade das Ticket aus. 60 bis 90 Euro. Ich bin verzweifelt. Am besten nicht dran denken. Manche verlieren ihre Häuser, ihr Leben, ihre Ernten, und ich habe nur einen Strafzettel bekommen. Alles geht vorüber. Auch der Ärger. Heute ist nicht mein Tag. Ich bin gereizt. Vielleicht wegen meiner bevorstehenden Reise. Warum muß immer alles so anstrengend sein? Warum Mauretanien? Ins große Nichts, in das Land der Mercedesmodelle. Ich habe mich entschieden und es ist gut so. Zum ersten Mal bereite ich meine Reise nicht von Deutschland aus vor.

Santa Cruz im Juli

Endlich gehört der dunkelblaue Renault Clio, Baujahr 1995 mir! Mein erstes Auto!
Claudia und Petra kommen spontan für eine Woche vorbei. Erstes touristisches Highlight: der spanische TÜV. Poli fährt mit mir über den TÜV. Ich lerne neue spanische Vokabeln, wie Blinker, Handbremse, Scheibenwischer oder Lenkrad.

Wir fahren zum Teide über den Wolken, durch nebelnasse Wälder über die Autobahn in die Stadt. DIe Canarios sind äußerst freundlich und geduldig. Auch ich muß jetzt die Fußgänger über die Straße lassen.

In Puerto de la Cruz ist die Hölle los. Die Virgen de la Carmen, Schutzpatronin der Seeleute wird von einer Menschenmasse zum Hafen begleitet. Mit schmerzverzerrten Gesichtern tragen einige Seemänner die Statur auf ihrem Rücken durch die Stadt. Das Gesicht der Jungfrau schaut regungslos über ein Meer von Menschen in die Ferne. Dort wo etliche Seemänner nie wieder zurückgefunden haben. Die Sehnsucht, das Warten auf die Rückkehr der Fischer, das Meer. Bei 30 Grad Hitze springen die Menschen ins Wasser, als sei es der heilige Ganges in Benares. Durchnässte, muskulöse Seemänner laden die heilige Carmen auf´s´Boot. Der Motor springt an, wichtige Politiker begleiten die Jungfrau auf ihren Meeresausflug. Einmal im Jahr darf die heilige Carmen das Meer sehen, die salzige Luft einatmen, einen Blick auf die dort draussen verbliebenen werfen und einen segnenden Schutz über die Küste bis zum endlosen Horizont ausbreiten. Motorboote, Surfer, Kanus, Schwimmer und Segelboote begleiten sie ausgelassen auf ihrer Reise. Alle trinken Bier, feiern, sind glücklich.

16.000 Menschen zwischen Organic Chill Out, Crystal Stage und Windmühlen. Eolica, das beste Musikfestival Europas. Der Eintritt kostet 25 Euro. Ich versuche es mit einer Akkreditierung. Die Presseabteilung sucht mich auf der Gästeliste vergebens. Dann hat die La Gacetta mich bestimmt vergessen. Sofort ruft die Pressezuständige Raquel, die Kulturredakteurin, an. Hier steht eine Frau mit einer Kamera, kennst du sie? Marcos, und Raquel wissen von nichts. Ich komme trotzdem rein und mache Fotos.
Luis Groove und Timetourist spielen ihren Sound. Wiederverwendbare Energien werden vorgestellt, tanzende junge Menschen mit blau gefärbten Zungen und braunen Oberkörpern. Stolz zeigt mir ein Italiener seinen dicken Bauch auf dem Nomad eintätowiert ist. Die Tatooreise geht noch weiter bis zur Unterhose, die er zur besseren Sichbarkeit herunterzieht. Seine Pobacken zieren zwei orangefarbene üppige Blumen.

Wieder kommen Immigranten mit einem kleinen buntbemalten Holzboot an. Miguel wartet auf mich in Los Cristianos. Mein erster Trip mit meinem Auto alleine in den Süden. Ich komme mir fremd vor, wie auf einer anderen Insel. Die restlichen Immigranten sind schon an Land. ich komme pünktlich zu spät. 90 Afrikaner sind auf hoher See ertrunken. Die Suchaktion ist abgeschlossen. Diese Ankunft der Immigranten ist für ein gutes Foto unbefriedigend. Immer wieder das gleiche Bild. Desolate, traurige, erstaunte Gesichter, die es kaum fassen, die Reise überlebt zu haben. Alle die gleichen Emotionen, alle Trainingshosen, T-Shirt und Mützen. Plastiktüten vom Roten Kreuz. Immer gleiche Informationen. Die Anzahl der angekommenen Personen, ein paar Minderjährige, ein Verletzter oder Tote. Die Schiffe kommen mit einer sommerlichen Regelmäßigkeit seit Jahren im Hafen von Los Cristianos an. Routine. Mich interessieren diese Fotos nicht mehr. Aber wie haben die Menschen 10 Tage auf diesem Boot zugebracht? Die Gefühle, die Sehnsüchte, das Warten, die Angst, das Wetter, das Wasser, das Essen, die nächsten Nachbarn, die Toilette. Der Tod?

Auf der Autobahn von Puerto de la Cruz bis Santa Cruz ist mein Auto dampfend liegengeblieben. Was tun? EIn Geräusch gehört nicht zum Motor. das Auto wird immer langsamer. Ich muß runter von der Autobahn und bleibe genau in der Ausfahrt Sauzal liegen. EIn anderes Auto hält und sieht mich etwas ratlos auf mein Auto starren. Ein Abschleppwagen kommt durch Zufall vorbei. Ich will es immer noch nicht wahrhaben. Nein ich brauche keinen Abschleppdienst. Welche Versicherung haben sie? Linea directa bezahlt. Hier ist eine Ausländerin, die mit ihrem Auto liegengeblieben ist. Mein Auto wird auf die Laderampe gefahren, ich kann es immer noch nicht glauben, da ich doch 10 Minuten vorher noch mit 100 h/km über die Autobahn flog. Wir fahren nach Santa Ursula. Das Auto muß in die Werkstatt nach Tacoronte. EIn Wasserschlauch ist geplatzt. Ich habe nicht auf die Temperatur geachtet. Der Zeiger blinkte rot. Das bedeutet mindestens 400 Euro Schaden. Der Taxifahrer kannte sich aus.
Eine teure Erfahrung. Die Besitzerin der Abschleppfirma erzählt auf der Veranda mit Blick zum Orotavatal. Frösche quaken, das sanfte Rauschen der Autobahn mitten in der Naturidylle. Sie war mit ihrem Ehemann in Deutschland und ist fast verhungert. Das Essen hat ihr nicht geschmeckt und es war immer wenig. Und die Straßen, leer! Die Leute leben nicht richtig und für sie gibt es dort keine Lebensqualität. Grau, traurig und öde.

Es ist wieder Sonntag und ich bin in Taganana. Die Strände sind berühmt für ihre hohen Wellen. Ich treffe wieder die spanischen Leute im Restaurant am Strand. Nach dem Essen zwei Gittaren und eine kräftige Frauenstimme: »Ich möchte nur, das du mir das Leben schön machst.«

Ein Fotograf von La Opinión, Jonay, ist deprimiert. Sein Blitz funktioniert nicht mehr und er hat kein Geld. Die armen Fotografen. Hier hat die Ungerechtigkeit ihren Höhepunkt. Wir brauchen ein Equipment was mindestens 7000 Euro kostet, und arbeiten für einen Hungerlohn.

Die La Gacetta gehört einem ehemaligen Boxer. Martinez hatte eine Kette von Geschäften, die Elektrogeräte verkaufen. DIe Druckerei gehörte auch ihm. Dort wurden viele Zeitungen gedruckt. Sogar die El País. Jetzt gehört ihm nur noch die La Gacetta, Mitteilhaber El Mundo. Jetzt muß die La Gacetta Strafe bezahlen, wenn sie zu spät die Daten liefert. Es gab schon immer Geldprobleme. Die Martiñez Geschäfte wurden unter der Bedingung verkauft, das der Name weitergetragen wird. Martiñez ist ein guter Freund von Miguel Conception, dem Fußballpräsidenten mit dem undurchsichtigen Mafiagesicht und einer der reichsten Männer der Insel. Reich geworden ist er mit dem Straßenbau. Jetzt besitzt er 9 Firmen. Unter anderem: Islas Airways, Schiffsfähren zwischen den Inseln, und einiges mehr.

Inhaber haben immer Geld und oft Geldprobleme. Ich bekomme kein Kilometergeld. Diese Information hat mich bis zum Boden zerstört. Maria Elena, die Kubanerin tröstet mich mit einem Café. Die La Gacetta ist keine Zukunft.

Währendessen wir in Santa Cruz bei 40 Grad schwitzen, brennt der Nordwesten ab. Pinien, Eukalyptusbäume, Häuser. Das Satelittenbild ist beeindruckend. Dicke Rauchschwaden ziehen in Richtung Westen. Dafür rufen mich viele Leute an.

Meinen Geburtstag habe ich einen Tag vorher in einem Restaurant Mit meiner verrückten Mitbewohnerin die alkoholikerin ist und Drogen nimmt, einem Afrikaner aus Sierra Leone den ich kaum verstehe, und der sehr genre mit mir zusammen wäre,  Ramón, einem Fotografen den ich sehr schätze und mit dem ich gerne zusammen wäre, wenn er nicht verheiratet wäre und zwei Kinder hätte und Eli aus Barcelona, feier ich im Los Reunidos meinen Geburtstag. Arancha dreht immer mehr auf, bis sie keiner mehr versteht. Ich dachte es sind meine Sprachprobleme, aber Ramón hat sie irgendwann auch nicht mehr verstanden.

Mich hat der Blues. Mit Ramón in einem Cadillac ein Arm aus dem Fenster, Musik, Landschaft, von Chicago bis Memphis. Erinnerungen an Billy. Die Erinnerungen werden wieder lebendig. Wie eine Spirale.

Für 100 Millionen Euro schaut La Palma in die tiefen des Universums. Das beste Teleskop der Welt.

Die Sonne brennt unbarmherzig, das Wasser ist knapp, Ich brauche die Herausforderung bis zur Grenze. Die Berge wie ein kleines Tibet. Wenn man sich verläuft, kein Handyempfang. Abgeschnitten von der Welt. Die Wanderung zum Antequera Strand ist ein Erlebnis wie Robinson Crusoe. Derr Strand ist nur mit Boot zu erreichen, oder eben durch wandern. ich teile den Strand mit drei anderen Menschen. Ich frage mich woher sie kommen und wie sie hier jemals wieder wegkommen. ich muß auf jeden Fall wieder den Barranco hoch über Stock und Stein. Weidende Ziegen schauen mich erstaunt an. Ich suche immer wieder den Weg, Sackgasse, über Stock und Stein, dann wieder ein Pfad zu sehen. Zurückgehen, umwege gehen. Das ist ja wie im wahren Leben.

Im Dorf Igueste de San Andres treffe ich einen 70 zig jährigen Mann. Er geht den Weg bis zum Gipfel zweimal die Woche. Donnerstags und Sonntags. Ich staune. Der Weg führt steil hoch und belohnt mit einem phantastischen Panorama über das Anagagebirge bis zum Teide. Die Küste, die grünen Berge das blaue Meer die Wolken. Das Sonnenlicht streift unwirklich die grünen Berge.

Beim Fotografieren des eines Fußballers am Flughafen mein erstes Ticket bekommen. Sehr wahrscheinlich 90 Euro. Heute ist nicht mein Tag. Um 6:30h aufgestanden, zum ersten Fototermin kam ich zu spät. Alle Läufer waren schon weg.

Jetzt komme ich schon wieder zu spät. Der Polizist schreibt gerade das Ticket aus. 60 bis 90 Euro. Ich bin verzweifelt. Am besten nicht dran denken. Manche verlieren ihre Häuser, ihr Leben, ihre Ernten, und ich habe nur einen Strafzettel bekommen. Alles geht vorüber. Auch der Ärger. Heute ist nicht mein Tag. Ich bin gereizt. Vielleicht wegen meiner bevorstehenden Reise. Warum muß immer alles so anstrengend sein? Warum Mauretanien? Ins große Nichts, in das Land der Mercedesmodelle. Ich habe mich entschieden und es ist gut so. Zum ersten Mal bereite ich meine Reise nicht von Deutschland aus vor.

Mauretanien

Der Kanarenstrom verhüllt die fremde Welt in einen blauen Nebel. Eine Tasse Kaffee und ein Baguette und der endlose leere Strand Afrikas liegt vor mir. Ein Wolkenband fällt wie ein Wasserfall ins türkisfarbene Meer. Sandige Wassertropfen bilden ein Muster auf dem platten Boden. Im Flughafengebäude steigt muffiger Körpergeruch in die Nase. Ab jetzt gibt es kein Toilettenpapier mehr. Vor sechs Monaten bin ich mit allen Hoffnungen von Laayoune auf die Kanaren geflogen. Jetzt ist mein Kopf voll mit Menschen, die ich damals noch nicht kannte.

Frauen flanieren in Gruppen gemeinsam die staubigen Straßen entlang. Tücher wehen in Türkis, Blutrot, Sandgelb mit großen Mustern durch den Wind. Eine Frau prüft jedes Gebäck mit ihren hennabemalten Händen. Das nicht, das auch nicht, ein Gebäck fällt auf die Straße, nein das auch nicht. Nachdem sie alle mit ihren Händen begutachtet hat, kauft sie das Erste. Renaults aus den 70zigern. Ab und zu ein neuer Jeep. Ein Mann in Badelatschen fragt mich, ob ich Sex haben möchte. Ich esse einen orangefarbenen Eintopf mit Fleisch, Kartoffeln und Möhren. Die Fliegen versammeln sich auf dem schmutzigen weißen Plastiktisch.

1000 km südlich liegt Dakhla, Rio de Oro genannt. Es gibt weder Gold noch einen Fluß, dafür viel gelber Sand. Ob ich 200 Meter oder 2000 km fahre, die Landschaft ist in weißes Licht getaucht. Kein Baum, kein Strauch, nichts als erschreckende Weite. Nie wird sich etwas ändern. Wie ein Gefühlszustand, eine Erstarrung, aus der man nie wieder entlassen wird. Rasender Stillstand. Flaches Land geht über in einen blassen Himmel, Entfernungen sind unwichtig geworden. Auf der Tankstelle Sahara macht der Bus eine Mittagspause. Das Lied »Hotel California« tönt über einen Lautsprecher durch die Wüste.
»You can go whereever you want, but you can never leave.«

Jeder Polizeiposten im endlosen Nichts bewahrt ein großes, in Leder gebundenes Buch. Name, Adresse und Beruf werden sorgfältig eingetragen. Diese Seiten werden nie wieder gelesen. Aber ein stiller Beweis, ich war da. Wie Eintragungen ins Klassenbuch. Mein Name steht nun in jedem Polizeihäuschen der Westsahara.

In Dakhla kaufe ich mir ein hellblaues Handtuch mit besticktem Goldrand und roter Rose. Made in China. Nach Sonnenuntergang vermischen sich Pfefferminze, Weihrauch, Hühner, Feuer und Körpergeruch zu einem orientalischen Cocktail. Ich habe ein Hotelzimmer Nummer 2. Am nächsten Morgen geht es weiter mit einem schwarzen Mercedes, aus Belgien. Mauretanien ist das Land des Mercedessterns. Hier fahren alle Modelle, mit Papiere und ohne Papiere. Unser Taxifahrer spricht spanisch und kennt die mauretanische Grenze gut. Wir fahren durch sieben Kilometer Niemandsland über die Grenze nach Mauretanien. Minen vom ehemaligen Konfikt schlummern noch im Sand. Ein Autofriedhof, nachts werden gestohlene Mercedese über die Grenze gebracht. Weder Marokko noch Mauretanien ist daran interessert, diese 7 km zu asphaltieren. Direkt hinter der Grenze liegt Nouadibouh.

Im Juli 2006 schloss die EU mit Mauretanien das nach eigenen Angaben »wichtigste Fischereiabkommen überhaupt« ab. Für die Zahlung von 86 Millionen Euro pro Jahr können während der sechsjährigen Laufzeit des Abkommens rund 200 europäische Schiffe in mauretanischen Gewässern fischen.

In Nouadhibou angekommen übernachten Margot, eine Französin und ich beim Taxifahrer. Sein Haus hat keine Fenster. Ich bin schockiert. Aber es gibt doch Fenster! Er zeigt auf eine Luke in der Decke und ein inneres Fenster. Das kalte Neonlicht und der Fernseher bieten orientalische Gemütlichkeit. Wir zappen uns von Abu Dhabi bis Lybien durch. Das europäische Bad, in lindgrün gekachelt mit Badewanne zeigt sich als unbrauchbar, da es kein fließendes Wasser gibt. Mit einem Plastikeimer holen wir das Wasser aus drei Meter Tiefe. Eine Zisterne in der Küche. Das Wasser kommt von weit her. Aus dem Süden. Aber die letzen Meter bis zu meinem Körper sind schwierig.

Der Taxifahrer fragt mich, ob ich das angenehme Leben satt bin? Warum Mauretanien? Zum Abendessen gibt es Tortilla, Tomaten und Oliven. Ein schwarzer Mauretanier bereitet den Tee vor. Hin und her werden die Gläser geschwenkt, bis ein fester Schaum entsteht. Ich erinnere mich an das Gesetz, das erst vor kurzem erlassen wurde. Sklaverei ist verboten. Viele Schwarze arbeiten im Haushalt bei nordafrikanischen Familien für wenig Geld. Waren früher wie Eigentum. Er schaut nach dem Rechten, wenn der Taxifahrer nicht da ist.

Nouadhibou: Auf staubigen Straßen zwischen Müllfetzen werden Tomaten, Mangos, Plastikschüsseln und Sonnenbrillen von Senegalesen verkauft. Eine Ziege kaut genüßlich an den Resten eines Frauenkleides.

An einem weißen Betonkubus mit zwei Eisenbahnschienen warten die Leute täglich ab 14.30 Uhr auf den längsten Zug der Welt, der 700 km durch die Wüste Eisenerz von der heißen Wüste zur kühlen 2 Küste transportiert. Ich lerne ein 13 jähriges Mädchen kennen, sie lebt mit ihren Eltern in Valencia und ist stolz, spanisch zu sprechen. »Que chuli el desierto!« Teenagersprache auf spanisch. Der 17 jährige Alex reist mit ihren Eltern, aber so genau weiß ich das nicht. Seine Haut ist weich wie schwarzer Samt, ich mache ihm Komplimente und er will mich heiraten. Übermütig und voller Lebensfreude macht er ständig Witze.

Der Zug wirbelt den Sand der gesamten Wüste auf und hält auf quietschenden Schienen. Matrazen, Taschen, Menschen klettern durch die Fenster. Nach einigen Kilometern ist der Gang immer noch voll mit Menschen. Die Fahrt dauert 14 Stunden. Es gibt kein Platz. Ich werde von meiner neuen Familie eingeladen in ihrem Abteil zu sitzen. 14 Personen teilen sich 6 Sitze. Aber das ist allen egal. Dazwischen bereitet Alex mit guter Laune den Tee vor. Der Müll wird in die einsame Weite der Wüste aus dem Fenster geworfen. Die Nomadenkultur lebt in den Menschen weiter. Auch wenn sie mittlerweile seßhaft geworden sind. Mit dem Untergang der Sonne ist es im Zug auch dunkel. Aber die arabische Augen sind überall. Und die Hände auch. Ich steige über schlafende Frauen und Männer, hin und her. Der Fahrtwind bläst Sand und Eisenstaub ins Gesicht.

Alex schlägt vor, in einen der offenen Wagons zu klettern. Dort fahren die Leute die kein Ticket bezahlen. Sternenstaub über dem schwarzen Wüstenhimmel. Der offene Wagon rüttelt uns von einer Ecke zur anderen. Manchmal ist es besser das Abenteuer im Buch nachzulesen, als selbst zu erleben. Ich habe mir die offenen Wagons gemütlicher vorgestellt. So gleitend durch die Wüstennacht. Meteoriten, Sternschnuppen, fallen wie Wünsche vom Himmel. Der Zug rüttelt unsere Körper von einer Ecke zur anderen. Das quietschen der Schienen durch die stille Nacht. Die Jungs heitern mich auf. Wir tanzen in der Mitte des Wagons, Merengue, Hip Hop, Salsa, um uns dem Rhythmus des Zuges irgendwie anzupassen. Bewegen. Drei Stunden lang mit einer Handvoll 18 Jähriger und einem Getthoblaster durch die staubige Nacht. In Choum steige ich aus. Weitere vier Stunden bis Zouerat erspare ich mir. Beim Aussteigen verschwindet plötzlich meine Tasche. Es ist dunkel. Ich komme so schnell aus dem offenen Wagon nicht heraus. Drei Taschenlampen in der Ferne, das ist Choum. Zwei Eisenbahnschienen und ein paar Häuser. Ein anderer Güterzug saust in endlosen Minuten an uns vorbei. Die Zeit wie ein Vakuum. Wo ist meine Tasche? Das Gefühl, als hätte ich gerade mein Leben abgegeben. Mein halbes Leben habe ich schon abgegeben. Mein Objektiv schlummert in zwei Teile zerbrochen in meiner Tasche, die jetzt ganz verschwunden ist. Ich schreie durch die stille nach auf französisch nach meiner Tasche. Und plötzlich taucht sie wieder auf. Meine Tasche. Es ist wie eine Erlösung. Eine Befreiung vom bösen Schicksal.

In Choum bietet mir ein Mann eine Pritsche an. Als ich nach einer Decke fragte, schaute er mich verständnislos an. In ganz Mauretanien gibt es keine Decken und kein Bettzeug. Wenn es keinen anderen Schlafplatz gibt, dann lege ich mich eben irgendwo hin. Es ist Dunkel. Ich taste mich eine Straße entlang, ohne zu wissen wohin. Der steinige Boden ist heute Nacht mein Hotel. Was braucht man mehr zum Leben? Ich habe keine Ahnung wo ich am nächsten Morgen aufwache. Die fahle Morgensonne enthüllt das Geheiminis: Ich befinde mich neben den Bahngleisen und habe gut geschlafen. Ein paar Morgenspaziergänger schauen mich entgeistert an. Verrückte Touristin die den Wohlstand satt hat. Mein Objektiv kommt mir in den Sinn. Kaputt. Keine Fotos. Und viel schlimer: Ich kann auf Teneriffa wiedermal nicht richtig arbeiten. Ein immer wiederkehrender Albtraum realisiert sich jetzt. Meine Kamera fällt hin und ist hinüber.


Die wenigen Häuser von Choum existieren nur wegen den Bahngleisen. Hier gibt es Nichts. Das Wasser wird von 100 km Entfernung herantransportiert. Der Ladenbesitzer bietet mir einen schmutzigen Schlafplatz an. Ich bewege mich nicht. Beobachte, wie mein Körper ab 9.00 Uhr zu schwitzen beginnt. Moina, ein achtjähriges Mädchen betrachtet neugierig mein Rucksackinhalt und verlangt meinen Wecker als Geschenk. Schon vor 100 Jahren war die Begrüßung Bonjour Madame, cadeau (Geschenk) Sie findet meinen Wecker besonders attraktiv. Schutzlose Weite, ein trockenes Gestrüpp spendet dürftigen Schatten, die Hitze brennt alle Gedanken aus. Ich denke nur an Wasser. Ohne Wasser bin ich verloren. Ein schwarzer Mauretanier, seine Haut glänzt im Sonnenlicht. Er lebt gerne in Choum. Hier ist sein Ort. Die Heimat kann überall sein, wenn nur das Herz eine Verbindung hat.

Ich habe keinen Hunger, muß etwas essen. Reis, eine Karotte, etwas Fisch und Süßkartoffeln. Meine Nerven liegen immer noch blank. Als ich von meinem Nachmittagsspaziergang zurückkomme, finde ich meinen Wecker nicht. Bestimmt hat das Mädchen den Wecker gestohlen. Ich raste aus, die Mutter beschimpft mich, das Mädchen schaut mich mit aufgerissenen schwarzen Augen an. Die Angst auf meiner Reise alles zu verlieren, vielleicht auch mich selbst. Ich habe den Wecker aus Mißtrauen gut versteckt und mich selbst in diese Situation gebracht. Als ich meinen Wecker endlich in meinem Rucksack gefunden habe, breche ich in Tränen aus. Versöhnung, der Ladenbesitzer lacht. Ich schenke der kleinen Moina ein Armband, sie ist glücklich endlich ein Geschenk bekommen zu haben. Und wir sind beste Freunde. Am Abend streite ich mich mit dem Ladenbesizter. Er will nochmal Geld von mir, mein Taxi nach Atar fährt heute abend und nicht wie ich dachte morgen früh. Ich bin immer noch müde, packe wütend meine Sachen und steige in den Jeep ein. Vergesse fast meine Schuhe. Er lächelt mir gelassen hinterher.

In Atar schlafe ich in der Herberge wieder draussen. Diesmal im Hof, neben einem silbernen Toyota. Atar ist die Hauptstadt von Chingettiland, das Land der endlosen Wüstendünen. 800 km bis Timbouktou ohne einem Menschen zu begegnen. Ein staubige Stadt mit fliegenden Plastiktüten. Der Müll gehört zum Stadtbild wie der Dom zum Petersplatz gehört. Es gibt keine Trennung zwischen Müll und anderen Sachen. Zwischen Papierfetzen und Plastikbergen werden Tomaten, Fleisch und Datteln verkauft. Ich sitze im Cafe Agadir und trinke einen Pfefferminztee. Die Zeit ist in Mauretanien endlos. Alle haben Zeit. So auch der 28 jährige Sidi. Ich habe keine Lust auf neue Bekanntschaften, und letztendlich rede ich doch mit ihm. Er zeigt mir eine andere Herberge. Dort begrüßt mich Ely, der in Madrid studierte, und perfekt englisch und spanisch spricht. Sein Wohnzimmer ist jetzt mein Hotelzimmer. Der Raum besteht aus vier Sitzgelegenheiten und acht Kissen, Ockerfarben mit schwarzen Karos. Braucht man sonst noch etwas? Ich schlafe eh wieder draussen. Diesmal auf der Terrasse. Decken gibt es hier auch nicht. Zwischen vier und acht Uhr morgens weht eine angenehme Luft auf dem Dach. Die Menschen in Mauretanien leben immer noch wie Nomaden. Es gibt nichts. Keine Möbel, nichts. Wie erschreckend wenig man zum Leben braucht. Die ausrangierten Autos aus den 70zigern fahren immer noch. Das Kleid, der Umhang ist gleichzeitig Handtuch und Betttuch. Schützt vor Hitze, Wind und Sand. Ein paar Matten, ein Fernseher und das Teebesteck mit vier Gläsern. Das ist alles. Alle schlafen draussen auf Matten in ihren Kleidern. DIe Gewänder sind praktisch, für jede Gelegenheiten.

Im Fernsehen läuft Bugs Bunny, die Looney Tunes habe ich in Amerika schon gesehen. Dann schaltet jemand um: ein französischer Kanal zeigt eine Travestieshow. Was hat das Fernsehen mit dieser Welt zu tun? Zwischendurch wird ein mauretanischer Sender eingschaltet. Mauretanien ist Sieger bei einem Poesiewettbewerb in Dubai geworden. Der Satellit empfängt 200 arabische Sender.

Sidi besucht Ely. Aber eigentlich besucht er mich. Wir sprechen über dieses und jenes, ich kann mich in der Hitze nicht bewegen. Die erste obligatorische Frage ist, ob ich verheiratet bin. Dann will er den Namen meines Freundes wissen. Ich muß überlegen. Wen nehme ich denn da? Ob er Spanier sei oder Deutscher. Sidi lädt mich zu seiner Familie ein. Seine Brüder liegen dösend auf dem Boden, nur die Mücken summen durch die heiße Luft. An der Haustür stinkt es nach Toilette. Warum muß die Toilette direkt neben dem Hauseingang liegen? Keinen scheint es zu stören, ausser mich. Sein Zimmer ist lieblos und chaotisch. Eine rotgeblümte synthetische Wolldecke aus China liegt auf dem Boden. Dort eine Kiste, hier irgendein Müll. Durch die Tür schauen ein paar Ziegen hinein. Sidi möchte das ich wiederkomme. Nach Atar. Dann heiraten. Er will nicht nach Europa. Denn Atar ist der beste Ort der Welt. Ja hier kann man auch ohne Geld gut leben. Das wenige was sie besitzen, teilen sie mit anderen. Deshalb finden sie es normal, dass die, die etwas besitzen, ihrerseits mit ihnen teilen. Sein Freund ein Friseur schneidet ihm die Haare umsonst, dafür hat er ein Fahrrad bekommen. Ganz Mauretanien sind Händler. Das war schon immer so. Ich schaue dem Friseur von einem speckigen Sofa aus zu. Das Sofa ist eigentlich schon zu alt für den Müll, aber es funktioniert immer noch. Von der Wand schauen indische Blondinen verführerisch auf den Kunden. Miss India ist blond. Es gibt kein Wasser, dafür einen großen Getthoblaster mit mauretanischer Musik. Und ich habe das Gefühl in einem der coolsten Friseurläden Mauretaniens zu sitzen.

Sidi zeigt mir auf einem Ausflug Azugi, ein Dorf in einem schönen Tal gelegen. Viele der runden Häuser aus Stroh sind offen und leer. Das ganze Mobiliar mitgenommen. Die Familien leben in der Stadt und haben hier eine zweite Wohnung. Sidi holt aus dem Kofferraum des Taxifahrers einen Metallkoffer hervor. Sieht aus wie ein Verbandskasten aus dem zweiten Weltkrieg. Was ist dort drin? Das Teebesteck natürlich. Ein Gaskocher, zwei Gläser, Tee und Zucker. Wir haben kein Feuer und warten auf andere Leute. Am Ende trinken wir Tee mit allen die vorbeikommen. Ein junger Mann mit drei Frauen und einem grünen Mercedes. Eine davon ist seine Freundin und andere Passanten.

Auf dem Dach eines Jeeps fahre ich mit anderen vier Jungs nach Chingetti. Der heiße Wüstenwind bläst ins Gesicht und trocknet die Kehle aus. Es ist wie Weihnachten, wenn man den Kopf kurz in den Backofen steckt, um nachzuschauen ob die Plätzchen schon gut sind. In Chingetti angekommen, genieße ich in einer Herberge europäischen Luxus. Einer 60zig jährige Französin, betreibt diese Herberge mit Erfolg und hat ein Reisebüro in Atar. Ab Oktober kommen hier Chartertflüge direkt aus Paris an. Ich versuche mir vorzustellen, was ich wohl mit 60 Jahren mache. Jetzt im August bin ich ausser einem Engländer und einem Schweizer, der fünf Jahre unterwegs sein will, die einzige Touristin. Durch meine Hütte weht der sandige Wind, ich sehe die grünen Palmen und einige Häuser von meinem Bett aus. Ich liege in meiner Hütte, meine Gedanken verschwunden. Schaue auf den bunten Baldachin über mir. Schwarzweisse Karos, blaurot weiße Streifen, braune Rosen mit grüngelben Mustern wechseln sich ab. Echte Mauretanische Atmosphäre herstellen, das können nur die Europäer.

Aus den Wohnzimern der Leute werden Dosen und Brot verkauft. Ich bin auf der Suche nach etwas Frischem. Es ist schon Dunkel und eine Frau leuchtet mit ihrer Taschenlampe die Regale ab. Plötzlich taucht im schwachen Rampenlicht der Taschenlampe eine JPS-Dose mit Tutti Frutticocktail auf. Ja, das ist meine Begierde! Erinnerungen an die siebziger Jahre. Während ich mit Genuss die Dose leere, schreien die Esel, Kamele schnauben, Hühner krähen und Ziegen mähen vor sich hin. Ganz schön laut für ein Dorf. Ansonsten herrscht Stille.

Ab 6.oo Uhr morgens wandere ich durch die sanften Dünenberge. Es ist egal wohin ich gehe, alles Berge, alles Täler. Ich selbst muß entscheiden. Der Sand fließt wie Wasser die Dünen hinunter und ist weich wie kühle Seide. In 20 cm Tiefe ist die Hitze des Vortages noch gespeichert. Allein. Die Luft beruhigt den wilden Geist. Zu weit in die falsche Richtung und ich bin verloren. Ob ich 30 km weiter bin oder hier, das ist egal. So wie das Leben sein sollte. Dort wo ich bin ist es gut. Trotzem muß ich selbst entscheiden. Die Landschaft gibt keine Vorgaben. Rosafarbender Sand verläuft sich im blassen Blau des Himmels.

Am Abend treffe ich eine französische Pfadfindergruppe, die ein Hygieneseminar in Zouerat gegeben haben. Einer davon war gerade in Berlin. Wir unterhalten uns über Friedrichshain und Wohngemeinschaften. Am Abend ist eine Hochzeit im Dorf und alle sind eingeladen. Auf zwei großen Ölfässern sitzend, schaut das Hochzeitspaar mit seinen besten Freunden den Tanzenden zu. Frauen wickeln sich tanzend in ihre bunten Schleier ein. Sie tanzen eigentlich nur für sich. Bauchtanz erscheint mir im Kontrast offensiv und ordinär. Eine männliche, klagende Stimme singt monoton in die Nacht hinein. Ab und zu fällt der Generator aus, es werden Lampen ausgetauscht und die Party geht weiter. Drei Tage dauert eine Hochzeit. Ein Tag für die Familie, die Freunde des Mannes und die Freunde der Frau. Eine willkommene Abwechslung für alle Dorfbewohner.

Achmed will mit mir eine Kameltour durch die Wüste machen. Ich brauche auch nichts zu bezahlen. Ich bin doch seine Freundin. Vorsichtshalber fragt er, ob ich Kondome benutze. Ich verzichte lieber auf die Wüstentour und spare mir die Kondome. Achmed stellt mich seinen Freundinnen vor: Sechs Frauen liegen oder sitzen entspannt im Salon. Der Kassettenrecorder spielt mauretanische Musik, noch halb in der Verpackung zum Schutz vor Sand. Ein Kind spielt auf dem Boden, die Mutter läßt sich von einer Frau die Füße mit Henna bemalen. Eine Frau macht Fotos mit ihrem Handy. Hände werden gewaschen. Essen. Es gibt Kamelfleich mit Pommes. Danach süße Kamelmilch. In einer Ecke Ecke ist eine Frau für den Tee zuständig. Sie produziert in der kleinen Kanne ständig Tee für alle. Hin und Her, Hin und Her, bis der gute Schaum entsteht. Alles ist unkompilziert, eine Person mehr oder weniger, das ist egal. Es ist immer für alle genug da. Durch die offenen Fenster weht eine angenehme Luft.

Ich unterhalte mich mit dem Buchhalter der Pension aus Burkina Faso. Er ist seit einem Jahr in Mauretanien und fühlt sich nicht besonders wohl hier. Nicht nur, wegen des moslemischen Glaubens, sondern er leidet auch unter dem Körpergeruch. DIe Leute waschen sich nicht, sie benutzen keine Seife.

Hinter einem klebrigen Vorhang stehen zwei grüne Bänke an türkisfarbene Wände. Im Hinterzimmer bereiten die Frauen den Reis in großen Schüsseln vor. EIne hübsche Jugendliche bedient die Gäste. Ihre orangefarbene Cordhose, kombiniert mit rotem T-Shirt, erinnert an die Bronx, New York. Das Haar mit einem schwarzen Kopftuch nach hinten gebunden.

Mein Frühstück besteht heute aus drei Bananen und Kamelfleisch auf Kohlen gegart.

In Nouadhibou wieder angekommen, schaue ich dem Juwelier Ahmed bei seiner Arbeit zu. Sofort zeigt er mir einen grünen Stein. Der wird mir gefallen. Er nimmt einen fertigen Ring und wechselt zuversichtlich den Stein in der Fassung. Ich werde bestimmt etwas kaufen. Unter dem Stein holt er ein Stück Pappe hervor. Nachdem wir nach einigen Tassen Tee den Kauf besiegeln haben, schneidet er das Kamelfleisch mit seinem Juwelierbesteck in kleine Stücke. Das köstlichste Fleisch was ich jemals gegessen habe. Ob er auf Teneriffa Geld verdienen könnte? Aber eigentlich will er hier nicht weg. Ist nur so eine Idee.


Wir fahren zu Acht in einem weißen Mercedes dicht gedrängt durch das leere Land. Sand und Land ist in der Sprache der Mauretanier das gleiche Wort. Nouakchott, die Hauptstadt, ist für europäische Augen ein einziger Müllhaufen. Neben mir sitzt.... aus Liberia. Er spricht perfektes amerikanisch. Die einzige Kolonie Amerikas in Afrika. Liberia ist ein schönes Land. Hat das beste Gold und die besten Diamanten der Welt. Und jetzt eine Präsidenten an der Macht. Ich sollte unbedingt hinfahren.

Wir überqueren die Grenze von Nouadhibou nach Dakhla mit einem Transporter mit sieben Mitreisenden. Ich teile mir einen Sitz mit Mohamed, einem Marokkaner, der Geschäfte in Senegal macht und früher bei IBM gearbeitet hat. Aisha, eine Mauretanierin reist mit einem großen Koffer voller Waren. Sie kann erst weiterfahren, wenn sie ein paar Sachen aus ihrem Koffer verkauft hat. Ganz Mauretanien leben vom Handel. Ware aus dem Senegal, die bis Agadir transportiert wird. Wenn die Gegenwart nicht gesichert ist, braucht man nicht an die Zukunft zu denken. Ich versuche mir vorzustellen, so zu reisen, nicht planen, sondern weiterkommen, wenn man wieder etwas Geld verdient hat.

Es dauert drei Stunden bis wir loskommen. Der Fahrer hat Probleme mit einem Papier. Die Sonne steht blass am Horizont, als wir an der Grenze nach Marokko auf die Einreise warten. Immer wieder wird nach dem Beruf gefragt. Wenn man den Beruf ändert, muß der Ausweis auch geändert werden. Der Fahrer hat ein Kiste Mangos und Taschenlampen als Geschenke für die Polizisten, die immer mal wieder an einem Grenzposten in der leeren Landschaft auftauchen. Der Fahrer ist müde und versucht sich mit Musik und eintönigen Koranversen wach zu halten. Soll ich nicht fahren? Kannst du fahren? Gut? Letztendlich traue ich mich nicht, acht Personen durch die Wüste zu transportieren. Also fährt der müde Ibrahim weiter.

1250 km bis Laayoune. Diese Stadt in der Westsahara erscheint mir nach Mauretanien wie New York. Hier gibt es alles. Nüsse, Tücher, Äpfel, Mangos, Trauben, Stoffe, Kleider, Schuhe. Die letzten Tage verbringe ich im »Kaufrausch«. Eiscreme, Milchkaffe, gebackener Fisch.
Weiß mit gelben Rosen, rot mit rosa Punkten, violette, gelbe Blumen, grasgrün mit blaugrün vermischt. Eine Tasse Kaffee und ich tauche im Nebel des Kanarenstroms aus dem Orient wieder in die europäische Welt. Der Flughafen von Teneriffa riecht nach Parfüm. Morgen beginnt der Alltag auf Teneriffa.