Freitag, 9. Mai 2008

Santa Cruz, die Stadt der bunten Stiefmütterchen

10.000 Menschen wehen mit roten Fahnen und schreien Zapatero. Zuerst sprechen die lokalen politischen Größen. Patricia Hernandez hält eine Rede im kurzen Minirock. SIe ist kaum 30 Jahre alt und kandidiert für einen Sitz im Senat in Madrid. Politische Agitation im Minirock und Stöckelschuhen. Warum auch nicht? Vielleicht haben die Spanier uns etwas voraus. Warum müssen erfolgreiche Frauen immer männliche oder dezente Kleidung tragen? Dann schauen alle mit glänzen Augen auf Zapatero. »Gleichheit für alle! Bildung für alle! Wir sehen in die Zukunft!«
M ( Mariano Rajoy / PP) steht für »miedo« (Angst) und »mala« (schlecht) »miseria« (Misere). Das Kind von Mariano Rajoy geht in eine Privatschule, das Studium wird von Papa bezahlt und arbeitet später in der Firma des Vaters. Das ist verbale Agitation. Hat nicht gerade viel mit der Realität zu tun. Aber wer sagt denn, dass die Menschen realistisch denken können?

Die erste TV-Debatte seit 15 Jahren. Face to face Zapatero - Rajoy. Ganz Spanien schaut zu. DieTV-Debatte besteht aus Anschuldigungen, Zahlen und Grafiken. Ist die Arbeitslosigkeit nun gestiegen oder nicht? Der eine sagt ja, der andere nein. Wer hat denn nun die richtigen Zahlen? Politik bleibt einfach abstrakt. Deshalb hilft eigentlich nur die emotionale Agitation.

DIe Wahlsprüche 2008:
»Wähle mit all deiner Kraft «PSOE
»Mit Kopf und Herz und klaren Ideen« PP
»Sprich Kanarisch« CC Nur die Canarios können die Kanaren auch in Madrid vertreten.

Die Wohnung gleicht einem sinkenden Schiff. Milagros, die neueste Mitbewohnerin zieht morgen aus. Sie erträgt die unsichere Situation nicht. Milagros putzt um auszuziehen, Marie putzt um einzuziehen. So bleibt die Wohnung immer sauber. Marie putzt die ganze Wohnung von oben bis unten durch. Sie ist zur Zeit arbeitslos und hat Zeit. Den Tag verbringt sie mit putzen oder TV schauen. Manchmal spricht sie auch mit sich selbst. Sie scheint glücklich zu sein. Wir kommunizieren nicht viel, deshalb kommen wir gut miteinander aus. Arancha wohnt überwiegend bei ihrer Mutter und ihrem Kind. Für zwei Tage in der Woche genießt sie ihre Freiheit und schläft hier. Marcel immer noch verschollen auf Kuba. Dem Besitzer fehlt eine Monatsmiete und Wassergeld. Bis zum 24.März muss das Geld bezahlt werden. Nebenbei schaue ich mich schonmal nach einem neuen Zimmer um. Carsten, der dänische Fotograf, bietet mir seine Wohnung in Tabaiba mit der phantastischen Aussicht an. Ein Zimmer mit Wohnzimmer 55 m2 für 400 Euro. Das ist ein sehr guter Preis. Aber bei meiner unstabilen Lage immernoch zuviel. Es ist wie zu früheren Zeiten im Osten. Wenn man eine schöne Wohnung haben möchte, muß man sich einen Partner suchen und dann schnell zusammenziehen. Alles andere ist unerschwinglich.
Ich könnte auch ein Zimmer für 300 Euro mieten. In gelbgrün gestrichen, mit Fenster zum Hof. Eine gutaussehende Frau mit langen braunen Haaren und Stöckelschuhen öffnet mir die Tür. Die Wohnung ist geschmackvoll eingerichtet und hat einen Balkon mit Blick zum Meer. Dafür kostet das Zimmer eben auch 300 Euro. Ich kann mich auch dafür nicht entschliessen, also warte ich ab. Ich genieße zur Zeit meine Freiheiten in der jetztigen Wohnung. Enzo, der sizilianische Immobilienmakler aus dem Schwabenland hätte eine Wohnung für mich: 340 Euro plus Nebenkosten. Insgesamt 400. DIe Wohnung hat ein Zimmer, ist hell und zugestellt mit alten, hässlichen Möbeln. Es gibt wohl ein Gesetz, wenn man möbiliert vermietet, bekommt man die Mieter schneller wieder raus. Dabei merke ich, ich will gar nicht alleine wohnen. Und schon gar nicht inmitten von einem Schrotthaufen von Möbeln.

Ein Afrikaner kommt selten allein....
Eine afrikanische Frau ist von ihrem Ehemann mit Kind aus der Wohnung geworfen worden. Es fehlen 12.000 Euro in bar. Der Mann beschuldigt seine Frau für das Verschwinden des Geldes. Schnelles Geld ist eben schnell wieder weg. Viele Afrikaner verdienen im Drogenbusiness ihr Geld. Es bleiben nur wenige Arbeitsmöglichkeiten. Viele sind Analphabeten und haben keine Ausbildung. Wer nicht im Drogengeschäft ist, verdient im Straßenbau sein Geld. Abdoulaye-Djibril aus Guinea Conakry hilft dieser Frau mit Kind und ihrer Schwester. Den eigenen Landsleuten hilft man eben. Alle haben auch schonmal bei uns übernachtet. SIe sind auf der Suche nach einem Zimmer. EIn Kubaner nahm alle drei in ein Zimmer auf. Für 150 Euro. Es geht eben doch noch enger. Sie haben keine andere Wahl. Die Schwester ist 20 Jahre, arbeitssuchend. Mit ihren Papieren hat sie keine Probleme mehr, da sie in Frankreich geboren ist. Ein Koffer steht immer noch in unserer Wohnung.

Abdoulaye kann auch Djibril heißen. Und Guinea Conakry liegt an der Westküste Afrikas, südlich von den Kanaren. Sein Vater hat ein Schmuckgeschäft in Guinea Conakry. Als 1984 der Präsident wechselte, verlor er eine Menge Geld. Nach dem Tod Sekou Tourés am 26.März 1984 übernahm am 3.April 1984 der Oberst Lansana Conté die Macht. Gestützt auf ein Militärkomitee. Nach einem Bericht von Transparency International vom November 2006 ist Guinea das korrupteste Land Afrikas. Djibril hat bis zu seinem elften Lebensjahr keine Schule besucht. Er arbeitete zeitweise in der Autowerkstatt seines Onkels mit. Dann machte er so eine Art Privatkurs um Französisch zu lernen. Dem Lehrer fiel seine schnelle Ausfassungsgabe auf, und riet den Eltern, ihn auf eine Schule zu schicken. Er übersprang zwei Klassen und war irgendwann auch wieder der Beste. Wir würden sagen Streber, aber in diesem Land hat man diesen Luxus nicht, das sagen zu können. In Guinea herrscht eine Analphabetenquote von 56 %, die Einschulungsrate im Primärschulbereich liegt bei etwa 50 %, im Sekundärbereich bei 10 % und im Hochschulbereich bei 1 %. Es gibt zwei Universitäten. In der Hauptstadt Conakry und in Kankan bei denen insgesamt etwa 6.000 Studenten eingeschrieben sind.
Der Altersdurchschnitt ist 17 Jahre. Die Lebenserwartung liegt bei 54 Jahren. Das durchschnittliche Jahreseinkommen je Einwohner beträgt 190 Euro.
Die Inflationsrate beträgt 34,7 % im Jahr 2006. Nur wenige afrikanische Länder haben so viele Bodenschätze wie Guinea. Obwohl sie etwa 85 (2004)
der Exporterlöse des Landes erbringen, bietet der Abbau nur wenige Arbeitsplätze.
Die letzten drei Jahre zum Abitur wurde Djibril vom Staat bezahlt, weil er zu den Besten gehörte. Seine Schulkollegen waren die Töchter und Söhne
der Minister und reichen Leute. Nach dem Abitur gingen sie alle nach Oxford oder in die USA studieren. Das konnten seine Eltern nicht bezahlen,
obwohl seine Familie nicht arm ist. Aber er hat eine Schwester in Hamburg, sie hat dort studiert und arbeitet jetzt bei Siemens. Nach dem Studium
hat sie um ihre Aufenthaltserlaubnis gekämpft. Seine Schwester versprach ihm sein Studium zu finanzieren. Im Jahr 2000 kam er zum ersten Mal
nach Deutschland und arbeitete mit anderen Papieren in einer Putzfirma und lernte Deutsch. Sein Traum blieb, in England zu studieren. Djibril ist
seit drei Jahren auf Teneriffa. Durch Verwandte die ihn unterstützen kam er auf die Insel. Er hat zwar immer noch kein Studium aber zumindest
eine Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis für Spanien. Um in England studieren zu können, und das Visum zu erhalten darf man die ersten 6
Monate nicht arbeiten. Er sagt, er kann erst zurück nach Afrika, wenn er ein Studium beendet hat. Djibrils Vater versteht das alles nicht. Er soll
zurückkommen, das Geschäft übernehmen und heiraten. Djibril erzählt ihm, dass er in Malaga wohne und ihm gehe es gut. Er will seinem Vater nicht
seine Adresse geben. Heiraten und Kinder bekommen ist obligatorisch. Djibril fragt mich, wer denn für mich sorgen wird, da ich keine Kinder habe?
Ich sage, dann ziehe ich mit meinen Freunden zusammen. Kinder sind auch keine Garantie.

Wir sind jetzt vier Fotografen bei der La Gaceta. Santi, der Chef, Alex der Sportfotograf und Javier der im Norden der Insel fotografiert. Das macht sich bei meinem Gehalt schonwieder bemerkbar. Die Fototermine werden immer mehr Routine, ich muß langsam an einen Wechsel denken um weiterzukommen. Weitere Anreize gibt es hier nicht.

Ich wandere das erste Mal die touristische Küste von Los Cristianos ab. Weisses Fleisch, quillt aus kurzen Hosen und bauchfreien Tops. Rosafarbenes Fleisch verrät die Dauer des Aufenthalts der Touristen. Man hört Englisch, Deutsch und Skandinavisch. An jeder Ecke ein Irish Pub und Touristenshop mit Sonnenöl, Badelatschen und Strandtüchern mit einem Teneriffaaufdruck. Die Küste zieht sich in einem bestimmten Rhythmus der Geschäfte entlang. Hotel, Irish Pubs, Geschäfte für die touristischen Bedürfnisse. Ich weiss nie genau wo ich mich befinde, weil alles so gleich aussieht. Schwarze Senegalesen verkaufen Sonnenbrillen auf der Straße. Senegalesische Frauen in traditionellen bunten Kleidern flechten den Europäerinnen afrikanische Frisuren. Drei Nigerianerinnen mit kurzem Rock und tiefem Ausschnitt bieten ihren Körper an. Die Prostitution soll stark angestiegen sein, obwohl die Straßenhuren kaum noch zu sehen sind. Das Geschäft läuft in Clubs und Wohnungen ab. Immigrantinnen aller Nationen arbeiten so. Der Frauenhandel kann so ungestört funktionieren.

Die Prozessionen am dunklen, stürmischen Karfreitag verläuft in der Stille ab. In La Laguna haben sich etliche Menschen auf der Straße versammelt und warten auf die Chofradias, die Kapuzenmänner. Sie erinnern an den Ku Klux Clan. Das ist in unseren Köpfen präsenter als die spanischen Osterprozessionen. Nur die schlürfenden Schritte und das Klirren der Ketten ist zu hören. Die Straßen sind dunkel bis auf einige aufblitzende Kerzenlichter. Keiner spricht ein Wort. Ein magischer Moment und man ist wieder ins Mittelalter zurückversetzt.

Habe seit vier Tagen undefinierbare Zahnschmerzen. Und das im Ausland!
Jeder Deutsche ist erst einmal geschockt, wenn er im Ausland krank wird oder Schmerzen hat. Die Angst vor ausländischer Stümperei, ungenügende Technik und vor allen Dingen die folgenden Rechnungen ist bei den Deutschen groß. Ostermontag ist ein normaler Arbeitstag. Mein Glück. Ich suche den erstbesten Zahnarzt gleich um 9.00 Uhr morgens in meiner Nähe auf. Zuerst weiß ich nicht wer die Zahnärztin oder die Assistentin ist. Sie findet gleich den Zahn, ich versteh einigermaßen was sie mir erklärt. Und lerne neue Vokabeln dazu. Die Blombe muß weg, um darunter den Karies zu entfernen. Sie zeigt mir das riesige schwarze Loch in meinem Backenzahn. Ich bin geschockt. Dabei versuche ich doch meine Zähne gut zu pflegen! Wenn man den Karies unterhalb der Blomben nicht kontrollieren kann, hilft alles Zähneputzen und Kontrolle nichts. Nein, ich brauche kein Anästhetikum. Sie bohrt und bohrt, mit offenem Mund denke ich an die folgende Rechnung. Irgendwann sagt sie, wir müssen den Nerv töten. Ein paar Minuten später sind es alle Nerven. Der Schmerz wird immer intensiver. Ich halte es kaum aus und versuche schreiend auf dem Stuhl zu bleiben. Anästhetika bitte! Viel nutzt es nicht mehr. Der Schmerz bleibt intensiv. Ah, die Deutschen sind sehr stark! Bevor ich gehe, schreibt die Zahnarzthelferin eine Rechnung von 150 Euro. DIe habe ich nicht dabei. Das ist egal. Bring sie nächstes Mal mit. WIe ich das nächste Mal das Geld herbeischaffe, interessiert keinen. In Spanien müssen alle Zahnarztleistungen voll bezahlt werden. Deshalb hatte Milagros fast keine Zähne mehr im Mund.

Der Tag verlief weiter mit entstehenden Kosten. Ich habe mein Auto im strömenden Regen gesucht. Abgeschleppt. Bei aller Auswahl der Parkplätze habe ich genau dort geparkt, wo Bauarbeiten stattfinden. 72 Euro Abschleppkosten und eine Strafe von 90 Euro. In La Laguna mit der Straßenbahn gut angekommen, bringt mich ein Fotograf zu meinem weiteren Termin. Auf dem Weg sehen wir einen Unfall. Starker Regen und Unfälle sind hier immer eine erste Seite in der Zeitung wert. Ein Polizist attackiert mich, ich solle nicht fotografieren. Ich fotografiere trotzdem. Er reisst mir die Kamera mit Gewalt weg, ich solle mich auf der Polizei melden. Zu meinem nächsten Fototermin habe ich keine Kamera. Jesus, der Fotograf hilft mir aus. Danach sprechen wir mit dem Polizeichef, der sich dafür entschuldigt. Das waren dIe Nerven. Ich habe immer noch enorme Zahnschmerzen.
Übe mich jetzt im positivem Denken. Der Tag war gar nicht so schlecht. Mir hat jemand geholfen meine Zahnschmerzen loszuwerden, Jesus hat mich zu meinem Termin gefahren und für mich fotografiert, und ich habe meine Kamera wiederbekommen. Und den Strafzettel, den habe ich Miguel gegeben. Sein Freund arbeitet auf der Stadtverwaltung.

Karfreitag machen wir eine Chuleta mit der ganzen Zeitung. Chuleta? Was ist das? Irgend ein Essen in Orotava. Ich ziehe endlich mal einen netten Rock an un denke sogar an Stöckelschule. Wird irgendein Essen sein. Als ich mit Juan auf dem Weg in die Berge nach Orotava fahre, wird mir langsam klar was Chuleta bedeutet. Grillen im Wald. 1000 Meter über dem Meeresspiegel, Nebel, Regen und eine Kälte, kaum zum Aushalten. Das hat man davon, wenn man als Ausländer nur die Hälfte versteht. Meinem rosafarbenen Rock wurde von allen bewundert. Na ja die Deutschen, die halten eben Kälte gut aus. Mir war es zu peinlich zu sagen das ich nicht genau verstand was wir machen. Zum Glück hatte ich mich gegen Stöckelschuhe entschieden. Das wäre im Wald auf dem Fussballfeld wirklich nicht angebracht. Das Fleisch war vorzüglich, wir haben ganze fünf Stunden im Regen gesungen! Danach sind wir alle durchgefroren zu Egons Café gefahren. Ein deutsches Cafe in Orotava mit einer köstlichen heißen Schokolade.

Djibril hat mit einem Schlag seine ganze soziale Basis verloren. Sein bester Freund und Mitbewohner ist von der Polizei mitgenommen worden. Die ganze Wohnung durchsucht. Sein Versprechen, nicht mit Drogen zu dealen, konnte er nicht halten. Jetzt wird er längere Zeit im Gefängnis sitzen. Als ältester Sohn muss er die Familie in Afrika versorgen. Lange kann er sein Schicksal nicht verheimlichen. Djibrils Vater hat angerufen. Er habe gehört, und er hoffe nicht dass Djibril darin verwickelt ist. Die afrikanischen Buschtrommeln funktionieren sehr gut. Afrikaner, die auf Teneriffa wohnen, haben selbst in Afrika den Ruf als Drogendealer. Die afrikanische Bar ist geschlossen. Das Mädel aus Santo Domingo wird für längere Zeit im Gefängnis sitzen. Die afrikanische Frau des Eigentümers der Bar wird entlassen. Ihre zwei Kinder versorgt in der Zeit die 20 zigjährige Hafsathu in Djibrils Wohnung. Der Eigentümer wurde im Dezember festgenommen. 150.000 Euro liegen auf einem sicheren Konto. 60.000 Euro wurden in einer Wohnung bei der Durchsuchung gefunden. Und 1.5 kg reines Heroin. Ein Artikel in der La Gaceta erklärt drei Operationen. Unter anderem wurden auch ein deutsches Paar mit 310 kg Haschisch festgenommen. Das Geld ist verführerisch. Man steht morgens um 11.00 Uhr auf, dann kommt der erste Anruf. Treffen in einem Cafe. 100 Euro verdient. Nachmittags shoppen in der Calle Castillo. Dann kommt der nächste Anruf. 200 Euro verdient. Täglich 500 Euro sind in der normalen Arbeitswelt nicht so leicht zu verdienen. Aber die ständige Angst, das Geheimnis, die Lüge begleitet den Alltag. Das Gefängnis liegt auf einer romantischen Anhöhe in La Esperanza. Von dort hat man einen schönen Blick bis zum Angagebirge, gelbes Blütenmeer mit saftigen grünen Wiesen. La Esperanza, die Hoffnung, ist ein schöner Name für ein Gefängnis. Für 1 kg Kokain gibt es angeblich unvorstellbare neun Jahre. Ein Freund von Djibril hat diese neuen Jahre unschuldig abgessen. Weil in der Wohnung Kokain gefunden wurde, und keiner der Mitbewohner sagte, wem das Zeug gehörte, sind sie alle drei ins Gefängnis gewandert. Was für ein Schicksal.

Ich höre mir Diskussionen über Afrika im Forum der Caja Canarias an, Djibril hat anderes zu tun. Der afrikanische Alltag will sich nicht mit Themen wie »Hat Afrika ein Zukunft?» nicht beschäftigen. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Darunter vier Afrikaner. Es wird über die Schuld des Kolonialismus gesprochen und der Schuld der Regierenden in Afrika. Zwei Kreisläufe existieren nebeneinander. Der Kreislauf der Entwicklungshilfe und der Kreislauf der enormen Ressourcen, die Afrika hat. Kein Geld kommt bei der Bevölkerung an. Passt das Model China auf Afrika, oder was würde ein Che Guevara in Afrika bewirken? Che wird vom El Pais Korrespondenten nicht als Held angesehen. Töten für eine Idee ist einfach töten und nichts mehr. Klatschen im Saal. Und wer diktiert die Preise auf dem Weltmarkt? Stimmen werden laut. Eine Afrikanerin glaubt nicht an die Zukunft Afrikas. Das Thema Irak wird immer wieder als Beispiel gegen Menschenrechte genommen. Eine Millionen Tote, drei Millionen Flüchtlinge und zwei Millionen Verletze in den letzten fünf Jahren im Irak und keiner spricht von einem Genozid. Der senegalesische Touristenführer Ousseynoum spricht sieben Sprachen und versorgt 20 Personen mit seinem Gehalt. In Afrika ist die Familie das Wichtigste in der Gesellschaft. Die KInder versorgen ihre Familie. Das ist ihr ganzer Stolz und dafür gehen sie nach Europa, weil sie in Afrika keine Arbeit bekommen. Jedoch bleiben viele Männer für die afrikansichen Frauen spurlos verschwunden. Sie wissen nicht, ob sie bei der Überfahrt umgekommen sind, oder im Gefängnis gelandet sind, oder sich einfach nicht melden, weil sie nicht in der Lage sind, Geld nach Hause zu schicken. Es gibt sehr viele geschiedene Frauen im Senegal. Aber die Jugend sei die Zukunft Afrikas.

Heute habe ich eine Gerichtsverhandlung fotografiert. Ein Mann um die 40 Jahre hat seine Exfreundin mit 70 Messerstichen getötet. Ich versuche mich in die Realität dieses Mörder hineinzudenken. Was hat er währenddessen gedacht? Sein Spruch: »Jetzt fühle ich mich befreit.« Er bekommt 25 Jahre »La Esperanza«

Freitag, 29. Februar 2008

Santa Cruz, die Stadt der rosaroten Alpenveilchen

Gelbbraune Inseln im blauen Meer durch das kleine runde Flugzeugfenster. Noch 10 Minuten und ich bin wieder zuhause. Eine Ferieninsel für Deutsche meion zu Hause? Die eisige Kälte, meine Freunde, die braun grauen Farbtöne. Deutschland war schön um es nicht zu vergessen. Die Sehnsucht bleibt aus.

Karneval bestimmt die Atmosphäre der Stadt. Die Murgas mit ihren bunten Kostümen singen kritische Lieder über die politischen Probleme der Stadt. Der Strand »Las Teresitas« und die dunklen Geschäfte des Bürgermeisters. Auch dIeser Strand soll nicht vom Tourismus verschont bleiben. Das Volk verdient Pesetas und zahlt in Euros. Alle singen mit. »Chicharrero de corazón« hört man bis mitten in die Nacht hinein auf den Straßen.

Zum Höhepunkt wird die Karnevalskönigin gewählt. Diese 20zigjährigen zarten Schönheiten präsentieren jeweils ein Phantasiebild, dass auf Rädern über die Bühne gezogen wird. Frisch, hübsch, im gebärfreudigen Alter, wie alle Königinnen der Schönheit. Ich denke über Sinn und Zweck dieser Schönheiten nach. Hat das etwas mit Fruchtbarkeitssymbolen zu tun? Überdimensionale Kostüme mit Flügeln, Palletten, Phantasietiere, ein Farbenrausch. Nauzet Celeste Cruz Melo mit der Phantasie »Das goldene Zeitalter« wird vom Einkaufszentrum Carrefour gesponsert. Und sie hat es geschafft. Jetzt hofft sie auf Fotoshootings und auf die Welt der Mode. London, New York, Teneriffa. Die Karnevalskönigin hat es immerhin schon bis zur ersten Seite der deutschen Zeitung »Die Welt« geschafft.

Als Höhepunkt fliegt die 73 jährige Sophia Loren aus Italien ein, um die Schönheiten und deren Design zu begutachten. Nein, eigentlich soll sie selbst von den 9000 Zuschauern begutachtet werden. Das Publikum bestaunt ihre ungebrochene Jugend und deren Sexappeal. Der pralle Silikonbusen schwappt aus dem feuerroten Kleid. Alles scheint überdimensional bei ihr zu sein. Die Augen, der Mund, das Dekolté. Das Lifting macht sie zu einem gutaussehenden Transvestiten. Sie scheint immer noch ihrem Ruf als Sexsymbol verpflichtet zu sein. Wir Fotografen drängen sich um die Schönheit, die mit ätherischen Blicken in ein imaginäres Nichts an den Kameras vorbeischaut. Sophia schau hierher und hierher, und für mich auch noch einen Blick! Alle jubeln ihr zu. Gerard Depardieu schaut ihr ungewollt in den Ausschnitt. Da kommt eben keiner drum herum.

Im Gegensatz zu Deutschland wird hier erst am Aschermittwoch eine Sardine aus Pappe verbrannt. Bis in die Nacht hinein trauert die Karnevalsgesellschaft in den Straßen von Santa Cruz. Männer als schwarze spanische Witwen verkleidet werfen sich zu Boden und bekunden ihre Trauer mit großen Federfächern. Ein Mann zeigt mir seine Unterhose aus rosafarbenen Bonbons gehäckelt. Ein letztes Mal auf die Pauke hauen. Der Karneval ist vorbei, aber noch nicht ganz. Das Ende muss sanft vollzogen werden. Bald werden Männer in aufreizender Frauenkleidung auf der Straße nicht mehr akzeptiert. Es wird wieder schwieriger Männer sowie Frauen kennenzulernen. Am Wochenende geht es nochmal so richtig los. Dann wirklich das letzte Mal.

Der Samstag ergießt sich in warmen Regengüssen dahin. Spontan werden Musikbands und der Karnevalsumzug für Kinder auf den Sonntag verlegt. Trotzdem sind die Straßen voll mit Prinzessinnen, Dominas, Männer in Miniröckchen als Sexymietze oder als Omas mit schlaffen Brüsten verkleidet. Flamencotänzerinnen, Römer, Hippies mit riesigen schwarzen Perücken, Schwangere in weißen Hochzeitskleidern oder deutsche Touristinnen im Badeanzug mit Schwimmreifen, ausgestopft zur unförmigen Figur des Durchschnittstouristen. Es ist erlaubt an falsche Brüste zu fassen, Männern auf knackigen Hintern zu klopfen. Drei Blondinen mit den gleichen Kleidern von H&M stolzieren mit ihren hochhackigen Schuhen durch das Menschengewühl. Viele Spanier gehen in Gruppen mit gleichen Kostümen aus. Die Weihnachtsbeleuchtung strahlen ein warmes, gelbes Licht durch die grünen Blätter der Bäume. Mit oder ohne Regenschirm, bald ist jeder bis auf die Haut naß. Es hilft nur noch tanzen zur Latinomusik und der Alkohol. Karneval bedeutet Sex pur. In dieser Zeit ist jeder bereit ein kleines Abenteuer zu riskieren. Deshalb wird jedes Jahr eine neue Kondomkampagne gestartet. Der Fotograf Carsten aus Dänemark hat immerhin vor fünf Jahren seine Frau an Karneval kennengelernt.

Enzo, der Italiener aus dem Schwabenland hat seine blaue Perücke und das rosafarbene Minikleid in einen Anzug ausgetauscht und geht seiner Arbeit als Immobilienmakler nach. Er zeigt mir sein zur Zeit neuestes Projekt. Eine Einzimmerwohnung im 13. Stockwerrk mit Blick auf den Hafen und das blaue Meer. Es ist traumhaft und man fühlt sich wie in einer modernen Großstadt. Der Boden im Zentrum von Santa Cruz ist teuer. 150.000 Euro und die 37 Quadratmeter sind mein. Ich stelle mir das Leben im 13. Stockwerk auf Teneriffa vor. Hier bleiben?

In der Fußgängerzone Calle Castillo treffe ich Katharina aus Berlin mit ihrem Mann aus Argentinien. Sie haben sich beim Tangotanzen in Paris kennen gelernt. Seit einem Jahr versuchen sie ihr Glück auf der Insel. Katharina sehnt sich nach ihrer schönen Wohnung in Berlin und ihrem gutbezahlten Job als Kunstlehrerin. Die meisten Wohnungen werden möbiliert vermietet, dementsprechend sieht die Wohnungseinrichtung aus. Im Juni werden sie wieder zurückgehen. Man braucht eben Zeit für die richtigen Kontakte und Jobs. Der Verzicht auf einige Annehmlichkeiten bringen andere schöne Erfahrungen, wenn man ins Ausland geht. Alles haben geht eben nicht. Die Insel ist eben doch kein Paradies.

Auch hier feiern wir so etwas wie eine kleine Berlinale. Der 6 Mio. Euro Film »Oscar« zeigt das Leben des Surrealisten Oscar Dominguez, der bekannteste Surrealist aus Teneriffa. Die Kanarischen Bananen machten es möglich, dass er in Europa studieren konnte und Bekanntschaft mit André Breton und der Surrealistengruppe in Paris machte. Ein roter Teppich wird ausgelegt und die geladene Highsociety, oder alles was über der üblichen Einkommensgrenze liegt, lässt sich auf dem roten Filmteppich feiern. Politiker aller Parteien, Unternehmer, der ehemalige Präsident mit seiner Frau. Oder ist es seine Freundin?

In unserer Wohnung gibt es immer wieder Bewegung. Der Wohnungsbesitzer rief persönlich an, das ist kein gutes Zeichen. Zwei Wochen später rief sein Anwalt persönlich an. Wenn die fehlenden 1500 Euro bis zum 24. März bezahlt werden, ist alles in Ordnung. Eine Monatsmiete und Wasser /Müll von einem Jahr. Marcel ist immer noch nicht aus Kuba zurück. Ich bereite mich seelisch schonmal darauf vor, die Wohnung zu wechseln. Wenn das alles nur nicht so teuer wäre. Eine Einzimmerwohnung im Zentrum von Santa Cruz kostet ungefähr 400 Euro. Bei meinem unsicheren Gehalt ist das eine Menge Geld. Alleine wohnen ist für mich mittlerweile Luxus geworden. Auch in Deutschland.

Nachdem die 60zigjährige Ana aus Italien ausgezogen ist, wohnt jetzt seit einigen Tagen Milagro bei uns. Dummerweise hat sie dem Wohnungsbesitzer unvorbereitet die Tür geöffnet. Sie wußte von nichts und viel aus allen Wolken. Jetzt ist sie zu recht sehr besorgt und schaut sich sofort nach einer neuen Wohnung um. Das ist in diesem Jahr die fünfte Person. Dieses Zimmer hält keine Mitbewohner. Milagro ist um die fünfzig und hat ihren Sohn neben Studium und Arbeit alleine großgezogen. Sie findet keinen Job in ihrem Bereich, deshalb versucht sie jetzt auf der Straße für das Rote Kreuz Mitglieder zu werben. Das Geld reicht gerade so, eine Wohnung für sich kann sie sich nicht leisten. Hier in Spanien gibt es keine Sozialhilfe. Wenn das Arbeitslosengeld ausläuft, muss jeder Job angenommen werden. Ohne Partner oder Familie bleibt einem nur noch die Zweckgemeinschaft übrig, wenn das Geld für die Miete fehlt. Schon alleine deswegen ist es eine Überlegung wert sich einen Partner zu suchen.

Ana Oramas, die Bürgermeisterin von La Laguna macht Wahlkampf in der Calle Castillo/Santa Cruz. Das ganze Medientross stürmt die Geschäfte in der Fußgängerzone. Filmkameras, Journalisten, Fotografen. Und wie fanden sie die Debatte gestern? Die Verkäuferinnen lachten schüchtern und lobten ihre Rede. Sie kann mit den Leuten auf der Straße und besonders mit den Älteren. Sie verteilt Postkarten mit ihrem Portrait an die Leute und unterschreibt mit einem goldenen Stift. Etwas sehr Kostbares. Und vergisst nicht, mich in den Kongress zu wählen! Eine arme Frau, die sich keine neuen Zähne leisten kann ist beeindruckt von ihr. DIe Bürgermeistern hat mich persönlich mit Kuss begrüßt! Das reicht den Wahlkampf zu gewinnen. Politik ist für die meisten Leute abstrakt. Aber eine persönliche Begrüßung bleibt in Erinnerung. DIe Autogrammkarte ist das besondere Geschenk. Gute Werbestrategie. Rajoy der Präsident der Partido Popular spielte vor zwei Tagen mit den alten Santacruceros Gitarre, und Zapatero ruft sich am Samstag noch einmal in Erinnerung. Das spanische Volk wählt am 9.März.

Santa Cruz de Tenerife im November/Dezember

Plaza Principe Paz ist ein Lichtermeer in Gelb. Neonblaue Sterne am Straßenrand, Glühbirnen formen Eiszapfen über der Fußgängerzone. Die Weihnachtsbeleuchtung ist wieder da. Fast ein Jahr auf Teneriffa. Der rote Weihnachtsstern blüht nicht nur in den Büros, sondern in allen öffentlichen Parkanlagen der Stadt. Glühwein und Handschuhe gehören hier nicht zur Weihnachtsausstattung.

Taganana
Sonntagsausflug weit weg von Stadt und Arbeit. Hier kann mich niemand über Handy erreichen. An der Küste steigt blauer Nebel vom Meer hinauf. Die bizaren Berge, die klare Luft. Vom Berg aus sehen die Wellen nicht so hoch aus, doch die Menschen darin sehr klein. Untertauchen in den weißen Wogen des Meeres. Im Winter ist der Strand leer und die Meeresströmungen sind gefährlich stark. Ich schwebe auf der blauen Meeresoberfläche bis zum Horizont. Eine Welle nach der anderen. Plötzlich taucht eine grüne Wasserwand vor mir auf. Ich schwimme hindurch. Die Strömung zieht mich in die Tiefen bis zum Grund. Kaum die frische Luft geatmet, steht die nächste grüne Wasserwand dröhnend vor mir. Wieder Luft geholt mit Salzwasser im Mund, donnert die nächste Wasserwand über mich. Ich schwimme so schnell ich kann, das Ufer ist nicht weit, aber endlos für mich. Die Kraft des Meeres entwickelt unbekannte Energien in mir. Im weissen Strudel schwimme ich weiter, bis die dritte Welle mich erfasst. Keine Zeit zum Atmen. Einmal das Meer berührt und ich fühle mich lebendig. DIe Angst, das Adrenalin, atemlos gelange ich ans Ufer und fahre zufrieden nach Hause.

Wie wäre wohl das Leben auf dem Land? Weit weg von Stadt und den immer gleichen Geschäften. Frische Luft und Erde unter den Füßen. Ich sehne mich nach etwas Regen und schlechtem Wetter. Die Gewohnheit sitzt tief in der Seele. Wenn die Sonne täglich scheint fehlt mir etwas. Der Kopf sucht ständig nach Veränderungen. Oder eine ausgewogene Mischung aus Veränderung und Alltag. Auch in meiner Arbeit bin ich mittlerweile angekommen. Die Langeweile hat mich. Es geht nicht mehr weiter. Keine Anreize. Immer die gleichen Fototermine. Und dasselbe schlechte Gehalt. Wenn ich abends um 21.00 zum Auditorium geschickt werde, und ich keine Fotos mehr machen kann, weil das Konzert schon angefangen hat, dann frage ich mich warum ich das alles mache. Die Zeit umsonst, kein Geld. Habe nichts besseres zu tun.

Ein Fototermin in der Umarmungstherapie. Nicht ich umarme dich, weil ich dich liebe, sondern ich liebe dich weil ich dich umarme, das ist das Motto einer Therapeutin. Die Teilnehmer sitzen auf dem Boden in einem Kreis und besprechen ihre Erlebnisse. Ich fotografiere einige Leute und gehe nicht, ohne dass mich ein voluminöser Mann in die Arme nimmt. Ich versinke in weicher Körpermasse. Alle klatschen als ich mich verabschiede. Das Foto habe ich in meiner Zeitung nie gesehen. Aber umsonst war ich nicht dort. Es ist nichts umsonst. Diese Umarmung hat mir neue Energien gegeben.

Die Bar mit einem Café solo oder Barraquito, dass sind die wenigen privaten Minuten, die ich mit meinen Fotokollegen verbringe. Eine Pause, eine kleine Geschichte, der Arbeitsfrust, Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch.

Ich freue mich das erste mal auf Deutschland. Deutschland als Urlaubsland zu erleben. Die schneidende Dezemberkälte, die gedämpften Farben, das Braun und das Grau der Landschaften. Meine Wohnung, die nicht mehr meine Wohnung ist. Meine Freunde, die meine Freunde bleiben, egal wo ich bin.

Sitze auf meiner bunten geblümten Tagesdecke aus Marokko, made in China. Höre Madonna und warte auf etwas was ich nicht kenne. Arancha macht sich schick für die Nacht. Diesmal mit neuen weissen Stiefeln für 22 Euro, einem schwarzen Minirock und hautfarbenen Nylonstrümpfen. Ich esse Abendbrot mit Osman, dem Afrikaner. Osman kam vor 6 Jahren mit leeren Händen nach Teneriffa. Wie er es nach Europa geschaftt hat, darüber spricht er nicht. Er hat hier spanisch als Analphabet gelernt. Eine Schule hat er in Guinea Conakry nie besucht. Ich versuche mir die Welt eines Analphabeten aus Guinea Conakry vorzustellen. Das Internet sagt, 1 % der Bevölkerung hat Abitur und kann studieren. Ein Prozent! Osman arbeitet seit sechs Jahren als Bauarbeiter. Er hat sich eine Eigentumswohnung gekauft. So wie alle Spanier.Der Blick auf führt auf die Autobahn, dahinter das Meer. Die Ölraffinerie verbreitet je nach Wetterlage stinkende Luft. Osman sitzt in seinem beigefarbenem Anzug auf seiner braunen Couchgarnitur aus den 70ziger Jahren. Jetzt ist er in Europa angekommen.

Mittwoch, 28. November 2007

Santa Cruz de Tenerife im Oktober

Die gelben Chrysantemen blühen. Es ist Herbst. In den Schaufenstern wird die neue Winterkleidung präsentiert. Braun und Lila sind die neuen Modefarben. Warme Winterstiefel, Pelzjacken und Wollpullover werden auch hier verkauft. Der Kalima bringt uns heiße Luft aus Afrika und schwüle 30 Grad.

Maria Elena, die Kubanerin ist jetzt meine beste Freundin in der La Gacetta. Eine Deutsche und eine Kubanerin. Die Welt ist klein und Santa Cruz ein Dorf. Sie erzählt ihre intimen Geschichten im Schlagzeilenstil. Mein Privatleben wird plötzlich öffentlich, da ich keine Kontrolle mehr habe und doch bleibt vieles an der Oberfläche wie ein stiller See. Private Geschichten erfahre ich auch nicht von meinen Fotografenfreunden. Geschichten die man sich nur zu zweit erzählt. Pepe ist für mich ein weisses Blatt. Ramon´s Leben sehe ich schemenhaft vor mir. Abel´s Leidenschaft ist die Fotografie. Alex ist der einzige der mir zwischen den Fototerminen Bruchstücke aus seinem Leben erzählt. Ich möchte die Vergangenheit eines Menschen kennenlernen, um ihn besser zu verstehen. Die Eintrittskarte zu einer Freundschaft.

Die La Gacetta soll nächstes Jahr noch vor den Wahlen mit 80 Seiten erscheinen. Der Inhaber unterstützt die PSOE, El Mundo ist PP. Dann haben wir eine Zeitung mit rechten und linken Parteien in einem. Was tatsächlich geschieht, weiss kein Mensch. Dann soll es auch Verträge für die Fotografen geben. Sozialversicherung, 45 Urlaubstage, zwei Tage frei in der Woche und ein Gehalt von 1500 Euro netto. Das erscheint mir wie ein Paradies. Der einzige Fotograf mit Vertrag ist Santi, ein enger Freund des Direktors. Er steht jetzt an erster Stelle. Ich arbeite immer noch für 5 Euro pro veröffentlichtes Foto. Bei diesen Bedingungen merke ich, wie lange ich schon unterhalb der Armutsgrenze lebe. Ich bin es gewohnt wenig Geld auszugeben. Für den Kapitalismus wäre es besser etwas mehr Geld auszugeben. Und das Ziel, mehr Geld zu verdienen. Wo ist die Grenze des einfachen Lebens? Zum Leben braucht man kaum etwas. In Mauretanien ist der Kapitalismus weit entfernt. Dort braucht man nur das nötigste zum Leben. Hier sind es andere Dinge die zählen. Wie lange kann man ein Kleid tragen, bis man aus der eigenen Gesellschaftsschicht ausgeschlossen wird? Ein Kleid könnte fast ein ganzes Leben nützlich sein. Also warum ein zweites kaufen? Wenn kein Geld für Restaurants, Ausgehen, Kino oder Urlaub da ist, bleibt man allein. Arbeiten wir um nicht allein zu sein?

Sich niederlassen, Teneriffa als meine neue Heimat betrachten, das kann ich bei diesen Bedingungen noch nicht. Ich bin immer noch auf der Durchreise. Wenn ich morgen meinen Koffer packe, kann ich innerhalb 24 Stunden an jedem Ort der Welt sein.

Geschmackvoll eingerichtete Wohnungen, die zum Bleiben einladen, ein grauer Himmel der Regen verspricht, ein intensives Gespräch mit Freunden, das alles habe ich eingetauscht gegen Sonne, Strand und immer gleich gelaunten Menschen, so wie die Lufttemperatur: konstante 24 Grad.

Immer wieder die Frage: was bedeutet Heimat? Wenn ich einen Schneebesen in der Küche habe und einen Kuchen backen kann? Wenn die richtige Tasse und das passende Besteck auf dem Tisch serviert wird und ich Gäste einladen kann? Ich kann mir mittlerweile jeden Ort auf dieser Welt vorstellen. Ortlos durch die Welt ziehen.

Santa Cruz im September

Alle singen auf spanisch »hasta luego cocodrilo«. »See you later aligator« Im Puerta Verde wird der Todestag von Elvis gefeiert. Die Spanier übersetzen alles zum Mitsingen. Der ganze Laden tanzt und ist im Elvisfieber.

»Der Pianist« von Roman Polanski im spanischen Fernsehen. Wie unterschiedlich beide Kulturen. Osteuropa.
Ich spüre meine Herkunft, das blasse Licht, die Kälte, die Gesichter. Da komme ich her, diese Umgebung haben eine Vertrautheit die der Süden nie für mich sein wird. Was bedeutet eigentlich Heimat? Wenn man die Angewohnheiten der Menschen angenommen hat, oder versteht? Wenn man eine Familie gedründet hat? Oder nicht mehr das Bedürfnis hat woanders hinzureisen? Wenn man akzentfrei den Dialekt spricht? Wenn die Leute sagen, jetzt bist du eine von uns? Wenn man die Witze versteht? Wenn ich mir keinen anderen Ort auf der Welt vorstellen kann? Wenn ich eine Liebe gefunden habe? Oder Kinder in diesem Land geboren habe? Oder wenn ich auch Steuern zahle, so wie alle anderen auch und die Vergünstigungen der Canarios bekomme?

Nach zwei Wochen Mauretanien öffne ich die Tür meiner Wohnung in der Calle Porlier und eine neue Frau sitzt zwischen Kisten und Koffern auf der durchgesessenen Couch im Wohnzimmer. Daneben ein kleiner weißer Flokatihund. Der wohnt jetzt etwa auch hier? Ich bin allergisch gegen Tierhaare. Mein erster Gedanke: die neue Freundin von Marcel? Marcel fliegt morgen nach Kuba. Er will jetzt ein neues Leben beginnen. Alte Computer in Kuba verkaufen. Kleider aus Miami über die Dominikanische Republik schicken. Reisen. Er liebt das Reisen und die Unabhängigkeit. Seine Seemannszeit war die glücklichste in seinem Leben. Sagt er. Das einzige was von Esther, seiner ehemaligen Freundin, bleibt sind die Erinnerungsfotos am Wohnzimmerschrank. Mal sind sie weg, mal hängen sie wieder dort. Je nachdem wie das Gespräch mit ihnen gerade gelaufen ist.

Die neue Mitbewohnerin heißt Elba und kommt aus Guatemala. Sie verschweigt ihr Leben in Malaga. Zufrieden sei sie, sie brauche keinen Freund. Das erscheint mir seltsam. Einerseits bewundere ich ihre Unabhängigkeit, aber ich glaube ihr nicht. Das wäre der erste Mensch, der sich nicht nach einer Zweisamkeit sehnt. Die Geschichten entfalten sich mit den Tagen. Ihr Freund heißt Frank und ist aus Kiel. Sie wird im Oktober nach Malaga zu ihm ziehen. Teneriffa gefällt ihr nicht. Die Unternehmen nutzen die Arbeiter aus und alles ist teuer. Auf der spanischen Halbinsel sei die Lebensquilität besser. Frank hat sie im Fahrstuhl zwischen der zweiten und fünften Etage kennengelernt. Seitdem sind sie zusammen. Das war vor drei Jahren. Wegen Ihrer Schwetser kam sie nach Europa. Vier Jahre hat sie ihre Heimat nicht gesehen. Und ihre Schwester wohnt mit ihrem Ehemann in Norwegen. Ein kaltes Land wo die Leute nur zu Hause sitzen und studieren. Elba träumt von Guatemala. Von der Vielfalt der Früchte, den Menschen und dem tropiscchen Klima.

Gegen Abend ist Arancha perfekt geschminkt. In rosa und grün. Kurze weisse Hotpants mit pinkfarbenen Cowboystiefeln und hautfarbene Nylons. Ihr Leben findet nachts in den Bars statt. Ich weiss nicht wann sie schläft. Ab und zu bringt sie einen Afrikaner mit nach Hause, der am frühen morgen wieder verschwindet. Am späten morgen geht sie müde zur Arbeit.

Maria Elena, eine Kubanerin arbeitet in der La Gacetta und gibt mir vertrauliche Ratschläge. Immer schön freundlich sein, den Chef nicht zuviel belästigen. Keine Scherereien machen. Der Canarier sei ein Feigling und spreche die Dinge nie klar aus. Gestern hat ein Redakteur meine Fotos an zwei verschiedene Zeitungen herausgegeben. Ein Gefallen zwischen Redakteuren, wenn ein Foto fehlt. Die Rechte haben nicht die Fotografen. Ich sage wie es ist, und das sowas in Deutschland unmöglich sei. Aber ich bin hier auf Teneriffa und nicht in Deutschland und wenn ich überleben will, muss ich mich anpassen. So ist das. Ich werde hier nichts ändern und die einzige Möglichkeit ist, zu gehen. Ich sehe meine Arbeit als Berufserfahrung. Gibt es ein Leben nach der La Gacetta? Die Möglichkeit in einer Fotoagentur zu arbeiten?Teneriffa zu verlassen?

Die Politiker reden, ob jemand zuhört oder nicht, das ist egal. Lopez Aguilar porträtiert Spinola als Comic, andere Telefonieren, andere schlafen oder schauen gelangweilt in die Gegend, während ein Politiker am Rednerpult mit vielen Gesten seine Meinung verkündet. Alles ein Spiel. Sie werden für die Reden bezahlt.

Es gibt Neuigkeiten in der »La Gacetta«. Der Besitzer hat gewechselt. Vom ehemaligen Boxer zu Hernandez, ein ehemaliger Ringkämpfer. Der neue Direktor arbeitete vorher bei der Konkurrenz »El Dia«. Die Leute reden viel. Es gäbe Verträge für alle Fotografen, bezahlter Urlaub, geregelte Arbeitszeiten und ein Redakteurengehalt. Ein Traum. Und ich mitten drin? Jetzt wollen alle bei der »La Gacetta« arbeiten. Ab nächstes Jahr erscheint die Zeitung ohne »El Mundo« Bleibe ich jetzt doch auf Teneriffa?

Dienstag, 9. Oktober 2007

Santa Cruz Februar

Sonntag mittag. Ankunft in Santa Cruz. Das soll also jetzt meine zukünftige Stadt sein. Ein Blinddate. Ich habe mich für eine mir unbekannte Stadt entschieden. Die Straßen sind leer. Ich kann die Geschäfte hinter den geschlossen Jalousien nur erahnen. Sonntagnachmittagstimmung. Unentschlossen schaue ich mich auf dem Busbahnhof um. Welche Richtung? Wo ist das Meer? Die Stadt? Ich frage mich durch. Ein Koffer, ein Rucksack und eine Handtasche können auf Dauer ganz schön schwer werden. Ich lande in der Pension Casablanca. Steile Treppen bis zum Dach. Eine kleine Box, mit einem Bett, ein Waschbecken und eingebautem Schrank. Ein Fenster mit Ausblick zum Gang. Erleichtert stelle ich meine Koffer ab. Ruhe. Bin ich angekommen? Wie lange werde ich hierbleiben?

Ich schaue mir mehrere Zimmerangebote an. Die meisten Wohnungen sehen ähnlich aus. Die Tür geht auf und ich stehe im Wohnzimmer mit Möbel Höffner Ambiente, dann die Küche, ein langer Gang und mehrere kleine Zimmer. Die 3x3 m Zimmer mit Blick in einen dunklen Schacht sind wie kleine Kinderzimmer. Ein Bett, ein Regal, ein Schrank. Schräg hängende Poster von verschiedenen Stars würden hier gut hineinpassen. Mein Verlangen nach Ausblick und Sonne teilen die Spanier nicht mit mir.

Santa Cruz gefällt mir. Trotzdem fühle ich mich wie ein gestrandeter Immigrant. Ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Freunde. Mein Handy wird zur wichtigsten Sache der Welt. Mit Menschen zu sprechen, die mich kennen und schätzen, geben die Bestätignung der Existenz. Ich denke an die gestrandeten Afrikaner, mit Blick nach vorne und nie zurück. Verbunden mit ihrer Heimat durch das Mobiltelefon.

Durch meine Zimmersuche lerne ich die Stadt kennen. Ich entscheide ich mich für die Calle Porlier. Zentral gelegen, 200 Euro im Monat, dritte Etage, immerhin liegt das Zimmer zur Straße hinaus. Mit Blick auf ein braunes Gebäude der Telefonica aus den Siebzigern. Ich brauche die Stimmen von draußen, um meine eigenen Gedanken zu bewegen. Marcel und Esther sind nun meine neuen Mitbewohner. Santa Cruz c/Porlier 39, 3° izda

Die ersten Tage ist mir nicht so richtig klar, wer hier wohnt. Eine Spaniern begrüßt mich. Wohnst du hier? Nein ich bin die Freundin von Fernando. Dann steht plötzlich ein älterer Mann vor mir. Guten Tag, ich bin gerade aus Kuba angekommen, der Vater von Fernando. Eine Brasilianerin, die Freundin von Shirley, die nun tatsächlich hier wohnt. Am nächsten Tag liegen Schlüssel auf dem Tisch. Der Kubaner ist ausgezogen. Dafür wohnt jetzt eine Spanierin in seinem Zimmer, die ich so gut wie nie sehe. Jetzt ist etwas Ruhe eingegehrt. Nur noch der Freund von Shirley ist ab und zu Gast in dieser Wohnung. Shirley kommt aus Venezuela, hat zwar noch keinen Job gefunden, dafür einen Lover aus dem Internet. Sie schaut den ganzen Tag fernsehen, hat sich jetzt einen TV für ihr Zimmer von Marcel kaufen lassen. Esther und Marcel, die Eigentümer der Wohnung, kommen immer spät abends nach Hause, essen Berge von Fleisch und gehen dann ins Bett. Denn morgens um 4.00Uhr beginnt der nächste Tag.

Heute ist Samstag. Habe mit Esther die Wohnung gemeinsam geputzt. Putzen und Arbeiten, das ist ihr Leben. In der Woche arbeitet sie als Haushälterin für einen Architekten. Damit verdient sie 600 Euro pro Monat. 200 Euro schickt sie ihrer Familie nach Ecuador. Bleiben noch 400 Euro. Für Miete muß man mindestens 200 Euro rechnen. Bleiben noch 200 Euro zum Leben. Für den Flug nach Hause wird eisern gespart. ein Job reicht nicht dafür nicht aus. Immigranten aus Bolivien arbeiten für 300 Euro im Monat. Oft die einzige Arbeit, die viele Ungelernte ohne Papiere bekommen. Essen inklusive. Viele leben zu fünft in einem Zimmer, das reduziert die Miete. Alles ist besser als im Heimatland selbst. In Ecuador verdient man im Haushalt 70 - 100 Dollar im Monat. Ein Zimmer kostet 20 Dollar. Das Geld, das im Ausland verdient wird, ist viel wert. Doch Esther ist jetzt nicht merh illegal im Land. Die beiden sind verheiratet. In Spanien ist Südamerika plötzlich ganz nah.

Sonntagsausflug. Das ist der einzige Tag, an dem Marcel und Esther nicht arbeiten. Wir fahren gemeinsam mit einem großen silbernen Jeep zum Teide. Da soll noch Schnee liegen. Mit der Seilbahn hoch, der eisige Wind, die Sicht in den blauen Himmel, unter uns ein Wolkenmeer, Gran Canaria, La Palma in der Ferne. Schnee wird plötzlich zum begehrten Objekt. Marcel war früher Seemann, seine glücklichste Zeit im Leben. Jetzt betreibt er mit einem Partner einen Fleischgroßhandel und verkauft morgens von 4.00 -8.00 Uhr auf dem Großmarkt. Dann geht er in sein Lebensmittelgeschäft. Viel verdient er dabei nicht. Die Leute sind wählerisch geworden und kaufen nur das Billigste. Die internationalen Supermärkte bestimmen den Markt. Einmal die Woche geht er zu seinem Metaphysischen Club. Er glaubt an Ausserirdische und Ufos. Bald will er mit Esther nach Ecuador gehen und dort eine Fleischerei aufmachen. Alles andere ist besser als hier. Überall auf der Welt geht es Leuten so, wie mir in Berlin. Der Ort ist egal. Wenn der Stillstand eingetreten ist. Die Welt, ständig in Bewegung.

Mein erster Samstagabend in Santa Cruz. Ich habe Lust auf Tanzen. Der Versuch beginnt im Tao, die nächste Diskothek in meiner Nähe. Vor 1 Uhr brauche ich gar nicht aus dem Haus zu gehen. Ich fühle mich wie 15. Lassen mich die Türsteher rein? Diesmal nicht weil ich zu jung bin, sondern weil ich vielleicht zu alt bin. An der Theke stehen alle Altersgruppen mit tiefen Decoltés. Die Einrichtung erinnert mich an meine ersten Diskothekenbesuche als ich 15 Jahre alt war. Nichts hat sich geändert. Heute bin ich gelangweilt, die Musik ist schlecht. Damals war es das Größte überhaupt.

Ich pflanze Geranien in leuchtendem Pink vor meinem Fenster und warte auf Regen. Bin eben eine Nordeuropäerin. In Puerto Cruz, wütet der Sturm, der Regen, das aufgewühlte grüne Meer hebt meine Stimmung.

Das Gefühl, auf einem bewegten Schiff zu stehen. Die kleinen Unterschiede des Alltags.

Hier wird anders gespült, zuerst das Geschirr mit viel Schaum einseifen, dann unter klarem Wasser abspülen. Das spanische Fernsehen zeigt noch mehr Werbung, ich schaue jetzt abends Buena Fuente, das gleiche Format wie Harald Schmidt.
Ich staune über die Ähnlichkeit. Sogar die Gesten gehören zum Format.

Ich freue mich über den seltenen Regen.

Das Baguette ist vorzüglich, aber durch das deutsche Brot nicht zu ersetzen.

Gestern den halben Tag im Carrefour verbracht. Ein französischer Konzern, ein Riesensupermarkt. Ich stehe vor endlosen Regalen und weiß nicht was ich wählen soll. Bin überfordert mit dem Angebot. Denn alles ist teuer. Dann werde ich noch zum rechnen gezwungen. Kaufe zwei und das dritte kostet dann 0,60 cent. Ist das tatsächlich billiger? Alles muß doppelt gekauft werden. Konsumterror. Ich vermisse die Discounterläden und bemerke wie günstig Deutschland mit Lebensmittelpreisen ist. Oder wie teuer Spanien ist. Immerhin ist der Milchkaffe sehr günstig.

Es werden Unmengen an Plastiktüten verbraucht.

DIe Wohnungen sind dunkler, die Schlafzimmer klein.

Ich staune über die tiefen Ausschnitte der Frauen auf der Straße und im Fernsehen. Hochhackige Dominaschuhe, stark geschminkte Gesichter mit tiefen Ausschnitten im Parlament, in der Verwaltung, die Verkäuferinnen, Frauen auf der Straße. Für meine Berliner Auge etwas ungewohnt ordinär.

Die meisten Wohnungen werden möbiliert vermietet. Mit schlechtem Geschmack.

Die Arbeitszeiten von 9.00-14.00 Uhr und 17.00-20.00 Uhr. Es wird sehr spät gegessen.

Das Gehalt ist niedriger.

Aber: die lachenden Gesichtern, die Sonne, das Licht, das Meer, der Hafen mit den Containerschiffen und die Landschaft!

Wieder ist Sonntag. Ich fahre nach San Andres, zum schönsten Strand der Insel. Gelber Wüstensand aus der Sahara vor 30 Jahren aufgeschüttet. Ein Wachmann erzählt von Skorpionen und Schlangen, die plötzlich am Strand waren. Mitbringsel aus der Sahara. Bald wird dort ein Hotel gebaut. San Andres, ein kleines Dorf 15 Minuten von Santa Cruz entfernt. José, der Wachmann erklärt mir, wo die Deutschen wohnen. Dort ein Politiker, dort ein Astrophysiker, die Kanaren haben die besten Observatorien der Welt. Das Institut Potsdam ist hier stark vertreten. Zum Abschied spricht er mich auf meine neue Kette an. Die heilige Carmen, Schutzengel der Seeleute! Damit bin ich immer gut angesehen. Ich habe mir den kleinen Anhängsel in einem Reliqiuenladen gekauft, ohne zu wissen was drauf ist. Ich wußte, die Kette passt zu mir.

In Puero de la Cruz sehe ich schon mehr Touristen als in Santa Cruz. Dafür gibt es deutsches Brot. Auch Heidi´s Wanderclub für Senioren und wenig geübte Wanderer, oder Christianes einzigartige Wandertouren, unterwegs mit dem Linienbus können hier gebucht werden. Einen unvergesslichen Tag in freier Natur, mit viel Spaß und Freude erleben, abseits vom Trubel und Lärm. In der Tat, wandern kann man hier wirklich sehr gut.

Sehe durch Zufall ein Schild mit einer Fotoagentur. Sie brauchen einen Fotografen. Mein erster Auftrag fällt ins Wasser. Ich sollte den Bürgermeister mit den Karnevalsköniginnen im Park fotografieren. Das wurde wegen des schlechten Wetters abgesagt. Ich bekomme 15 Euro pro Auftrag. Bis jetzt haben sie sich nicht wieder gemeldet.

Meine Bewerbungen laufen. Bei Zeitungen und Grafikagenturen. Ich habe den europäischen Magendarmvirus und übergebe mich nach einem Vorstellungsgespräch ein der Kasse eines Supermarktes in die Hippodino-Plastiktüten hinein. Ich entschuldige mich, werfe die vollen Plastiktüten in den Müll und lege ich mich zu Hause ins Bett.

Die Welt der Fotografen ist klein. Acfipress kennt Oskar, der für Canaryinfo arbeitet. Ich erzähle, das ich ein Foto bei El Mundo veröffentlicht habe. Christinas Gesicht erhellt sich. El Mundo? Gacetta de Canarias, ein Teil von El Mundo sucht seit einiger Zeit einen Fotografen. Ich stelle mich sofort bei dem Chefredakteur vor. Marcos, Anfang dreißig, sitzt vor mir in einem schwarzen Chefsessel, mit abgekauten Fingernägeln. Ein junges Team, das gut zusammenarbeitet. Ich bin eingestellt. Wenn die wüßten das ich Anfang 40 bin. Das heißt, ich arbeite jetzt auf freelancebasis täglich für die Zeitung und bekomme pro Foto vier Euro. Ich sehe es als Praktikum, lerne viel dabei und kann mir ein Netz aufbauen. Solange ich irgendwie davon leben kann. Das stellt sich noch heraus. Als Grafikerin würde ich 800 - 900 Euro pro Monat verdienen. Auch nicht viel mehr.

Santa Cruz hat auf mich gewartet. Mein erster Job für die Gacetta de Canarias:
Eine eingestürtze Mauer. Die Nachbarn klagen die Stadt an. Einen Schauspieler im Theater, der Direktor des Sinfonieorchesters Köln, verschiedene politische Pappnasen, spanische Spitzensportler auf dem Teide, eine Demonstration gegen das Verbot, auf der Straße zu feiern. Pressekonferenzen, den Präsidenten der Kanaren, wieder ein Politiker, der gerade abgedankt hat. Es ist immer wieder eine Herausforderung, die Situation schnell in ein gutes Bild umzusetzen. Und momentan genau das Richtige! Ich treffe immer wieder die selben Fotografen, der anderen Zeitungen. Es ist ein freundlicher Umgang. Ramon arbeitet für die Agentur Efe und ist auf Teneriffa ständig unterwegs. Mir gefallen seine Fotos. Alex hat vorher für die Gacetta gearbeitet und ist jetzt Acfi-Press, die erste und einzige Fotoagentur auf den Kanaren, die es seit einem Jahr gibt. Alle kennen sich gut. Bei einem Volleyballspiel treffe ich Javier. Er ist eigentlich Tänzer und arbeitet schon seit Jahren für eine Zeitung als Fotograf. Doch das Geld reicht nicht. Nebenbei fährt er Taxi. Jetzt würde er gerne wieder Tanzunterricht geben. Immer wieder etwas Neues machen.

Gestern Pressekonferenz zur Kampagne Kondome zum Karneval. Es werden 150.000 Kondome verteilt. Gegen Aids und ungewollte Schwangerschaften. Der Karneval beginnt am 14. Februar. Heute ist die Karnevalskönigin gewählt worden. Elisabet Garcia, 21 Jahre. Die Hoffnung auf eine Modelkarriere oder Filmschauspielerin ist groß. Oder einfach einmal Prinzessin sein! Doch nach Karneval ist der Alltag wieder grau. Die Kinderkönigin ist schon gewählt. Ein 5 jähriges Mädchen. Die älteren Damen, des sogenannten 3. Alters dürfen auch mitmachen.

Die jungen Mädchen sind umgeben von drei Meter hohem Tüll, Pailletten und Federn. Das ganze Phantasiegebilde gleitet auf Rädern über die Bühne. Wie eine Puppe winken die Mädels den Zuschauern zu. Die Kostüme kosten ein Vermögen zum wegwerfen. 8000 Euro. Gesponsert von verschiedenen Firmen. Elisabeth Garcia hat das Phantasiebild Miss Dior und wird von der Diagruppe gesponsert. Eine reine Werbeveranstaltung. Am nächsten Tag fotografiere ich die frisch gewählte Karnevalskönigin 2007. Journalisten erzählen über den peinlichen Galaabend. Es gibt viel Diskussion über den Organisator und ausserdem, viele Canarios haben keine Lust mehr auf Karneval. Immer wieder das Gleiche.

Freitagabend ist der große Karnevalsumzug. Man sagt, es sei der größte Karneval nach Rio. Das finde ich etwas übertrieben. Ich fotografiere bunte Federn, Glitzer und kurze Röckchen. Allen voran, der Wagen mit der Karnevalskönigin, La Reina, in schwarz und silbernem Neonlicht. Sie kann es kaum glauben. Ihr Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen. Alle winken ihr zu! Sie ist heute die Schönste! Ein Traum! Wie sehr hat sie dafür gearbeitet! Die Menschenmenge am Straßenrand rufen ihr wild gestikulierend »guapa - Schöne«zu.

Die Männer verkleiden sich als schwangere Frauen in Kittelschürzen, amerikanische Soldaten oder Badetouristen. DIe Frauen bevorzugen Polizistenuniforme in kürzen Röckchen oder bunte Perücken mit Federboa. Viele tragen innerhalb einer Gruppe das gleiche Kostüm. So verliert man sich nicht im Gewühl. Abends laufen mir vier weiße männliche Bräute entgegen. Mit Schleier, Blumenstrauß und alles was dazugehört. Der Gang passt so gar nicht zum weißen Kleid. Die Kinder laufen als Prinzessinen, Krokodile oder Batman durch die Straßen. Am nächsten Tag erscheint mir alles wieder normal. Köln scheint mir da heftiger zu sein. Aber der Höhepunkt kommt ja noch. Am Dienstag ist der zweite Umzug.

Die Woche ist wieder vorbei. Sonntag. Es ist immer noch Karneval. Diesmal mache ich einen Ausflug nach Anaga. Das Gebirge im Norden der Insel. Während ich auf den Bus warte, kommt mir ein Rentner mit blonder Lockenperücke, silbernen Wimpern und langem weißen Kleid entgegen. So eine Art Prinzessinnen Look. Die Schulter und die Haare sind mit einer goldenen Kordel verziert. Der rote Lippenstift etwas verschmiert, er ist ja auch schon seit zwei Tagen unterwegs und hat nur drei Stunden geschlafen. Angel fährt zu Mama Afrika, eine Bar auf der anderen Seite der Insel, um dort mit Freunden zu singen. Passanten gratulieren ihm zu seinem schönen Outfit. Ansonsten bemerke ich nicht viel vom Karneval. Nach meinem Spaziergang treffe ich die Rentnerprinzessin mit dickem Bauch in der Bar Mama Afrika. »Ah, meine deutsche Freundin! Komm zu uns!« Zwei Gitarrenspieler und der ganze Tisch singt mit. Ich werde zum Kaffee eingeladen und muss mit Prinzessin tanzen. Um 18.15 h fahren wir gemeinsam mit dem Vorletzen Bus nach Santa Cruz. Er weiter auf Piste, ich nach Hause.

Montag kaufe ich mir eine Federboa zum feiern. Vielleicht finde ich ja doch noch jemand, der mit mir auf Piste geht. Meine Mitbewohner sind zu müde. Und ich liege leztendlich krank im Bett. Habe auch den zweiten Umzug am Dienstag für die Gacetta fotografiert. Nun kommt meine Federboa doch noch zum Einsatz. Sehr sInnvoll gegen meine Halsschmerzen. Ich bin total erkältet und so gar nicht in Karnevalsstimmung. Am Mittwochabend wird die Sardine verbrannt. Alle sind diesmal in schwarz kostümiert. Männer in Frauenkleidung mit großen Dildos und aufgeblasenen Busen. Karneval besteht eben aus Alkohol und Sexmöglichkeiten. Das ist hier nicht anderes als in Köln. Ich habe beides ausgelassen.

Mein spanischer Alltag sieht nun so aus:
Aufwachen, die Termine per sms von Marcos, dem Chefredakteur, lesen, Fotos machen, ich mache alles zu Fuß. Mit Auto hat in der Innenstadt keinen Sinn. Bis jetzt habe ich drei bis vier Termine. Fotos schicken, im Internetcafe sitzen und abends fernsehen schauen. Gleich kommt Doktor House, eine amerikanische Serie. Gut zum Spanisch lernen.

Santa Cruz im März

Meine Seele ist jetzt auch in Santa Cruz angekommen. Ich bin nicht mehr krank, und habe mich in meiner neuen Welt so einigermaßen eingerichtet. Der erste Alltag stellt sich ein, Wiederholungen sind doch manchmal sehr hilfreich im Leben.

Es ist immer noch Karneval. Der Sonntag ist für die Kinder reserviert. Schwarze Batmans, rosa Prinzessinnen und grüne Krokodile bevölkern die Fußgängerzone von Santa Cruz. Die fünfjährige Karnevalskönigin sitzt zwischen einem riesigen Schloß aus Pappmaché und winkt der Menschenmasse zu. Las Vegas auf Teneriffa.

Die Marine I liegt immer noch im Hafen. Der verrostete Frachter hat die letzte Reise hinter sich. 372 Immigranten an Bord, die meisten aus Kashmir. Manche verbrachten zwei Monate an Bord. Der Eigentümer des Bootes ist unauffindbar. Der Kapitän geflüchtet. Mit Motorschaden schwamm das Schiff vor den Küsten Mauretaniens. Nach tagelangen Verhandlungen sind die meisten Reisenden in ihr Heimatland zurückgeflogen worden. 23 Menschen, die ihre Herkunft verschweigen, warten seit sechs Wochen auf eine Entscheidung im Hafen von Nuhadibu, Mauretanien. Jeder Passagier bezahlte 3000 Euro. Insgesamt brachte der verostete Fischkutter über eine Millionen Euro ein. Ein gutes Geschäft. Das verlassene Boot riecht nach Menschen, Angst und Hoffnung. Auf eine Holztafel steht der Hilferuf »Save our lives!« Ein weißes T-Shirt weht im Wind. Die letzte Reise ist vorbei. Bald wird das Boot wir im Meer versenkt.

Schwere Regenwolken ziehen tief über das bleistiftgraue Meer. Es tröpfelt langsam vor sich hin. Die Canarios packen ihre Sachen ein. Sie wissen, das wird ein starker Regen. Die Strandbar Carmelo hat noch geöffnet. Der Papagei schreit, die laute Latinomusik versetzt die Barkeeper in gute Stimmung. Es dauert nicht lange und der Regen fällt wie eine Wasserwand auf den sandigen Boden. Der Horizont verschwindet im nebligen Grau. Blitze und Donner wechseln sich ab. Die Möwen versammeln sich am Ufer. Eine Frau geht mit Regenschirm im Wasser spazieren. Mittlerweile habe ich schon mein zweites Bier getrunken und die Toiletten sind weit entfernt. Die Barfrau stellt mir einen Putzeimer hin, zaubert einen Vorhang hervor und der Ort wird zu meiner Toilette. Danach kann noch ein weiteres Bier getrunken werden.
Im Wohnzimmer finde ich ein See von Regenwasser vor. Ich fühle mich wie in einem Aquarium. Der Regen übertönt jedes Geräusch. Ein befreiendes Gefühl.

Im Mai sind Wahlen. José López Aguilar ist der neue Kandidat der Psoe (SPD). Die Coalition Canarias hat ihn als spanischen Kanarier beschimpft, weil er die Aussprache eines Festlandspaniers hat. Das c wird hier südamerikanisch ausgesprochen. Er wurde von Madrid geschickt. Kleine Buchstaben entscheiden über die Zugehörigkeit. Am Wochenende hat die Coalición Canarias sich gefeiert. Eine konservative, rechte Partei, die seit Jahren die Insel regiert. Zu ihren Errungenschaften gehört das Auditorium von Caladrava, das dreimal soviel gekostet hat wie geplant, die Straßenbahn, die keiner benutzen wird und der Containerhafen im Süden der Insel. Dieser Hafen entsteht trotz Naturschutzgesetze. Weiter geplant sind neue Touristenzentren in San Andrés. Einkaufscenter und Hotels. Man sagt, alles Korruption. Es gibt immer wieder Demonstrationen der Bewohner, die gegen den Ausbau des Teresitas-Strandes sind. »Sie wollen uns Anaga rauben!« Steht auf den Schildern.

Das Parlament, die Verwaltung, oder das Cabildo sind meine neuen Arbeitsstätten. Im Cabildo, die Inselverwaltung, erinnern realsozialistische Wandgemälde aus Francos Zeiten an DDR- oder Sowjetmalerei. Muskulöse Bäuerinnen mit Kindern, Fischer schauen während der Pressekonferenzen in die Ferne.

Auf einer Pressekonferenz wird das Thema Kommunikation vorgestellt. 2008 sollen 1400 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Kommunikationsmarkt zwischen Afrika und Europa ist für die Kanarischen Inseln eine gute Möglichkeit Geld zu verdienen.
Andere Pressekonferenzen stellen das Thema Natur und Wanderwege auf Teneriffa vor, Rechte für Kinder, eine Schriftstellerin liest aus ihrem Buch, und oft weiß ich auch gar nicht was los ist. Mache mein Foto und gehe.

Ich schiebe mich zwischen Putzfrauen mit roten Fahnen und Trillerpfeifen hindurch und fotografiere. Die Putzfrauendemo verlangt bessere Löhne und würdigere Arbeitsverhältnisse.