Freitag, 29. Februar 2008

Santa Cruz de Tenerife im November/Dezember

Plaza Principe Paz ist ein Lichtermeer in Gelb. Neonblaue Sterne am Straßenrand, Glühbirnen formen Eiszapfen über der Fußgängerzone. Die Weihnachtsbeleuchtung ist wieder da. Fast ein Jahr auf Teneriffa. Der rote Weihnachtsstern blüht nicht nur in den Büros, sondern in allen öffentlichen Parkanlagen der Stadt. Glühwein und Handschuhe gehören hier nicht zur Weihnachtsausstattung.

Taganana
Sonntagsausflug weit weg von Stadt und Arbeit. Hier kann mich niemand über Handy erreichen. An der Küste steigt blauer Nebel vom Meer hinauf. Die bizaren Berge, die klare Luft. Vom Berg aus sehen die Wellen nicht so hoch aus, doch die Menschen darin sehr klein. Untertauchen in den weißen Wogen des Meeres. Im Winter ist der Strand leer und die Meeresströmungen sind gefährlich stark. Ich schwebe auf der blauen Meeresoberfläche bis zum Horizont. Eine Welle nach der anderen. Plötzlich taucht eine grüne Wasserwand vor mir auf. Ich schwimme hindurch. Die Strömung zieht mich in die Tiefen bis zum Grund. Kaum die frische Luft geatmet, steht die nächste grüne Wasserwand dröhnend vor mir. Wieder Luft geholt mit Salzwasser im Mund, donnert die nächste Wasserwand über mich. Ich schwimme so schnell ich kann, das Ufer ist nicht weit, aber endlos für mich. Die Kraft des Meeres entwickelt unbekannte Energien in mir. Im weissen Strudel schwimme ich weiter, bis die dritte Welle mich erfasst. Keine Zeit zum Atmen. Einmal das Meer berührt und ich fühle mich lebendig. DIe Angst, das Adrenalin, atemlos gelange ich ans Ufer und fahre zufrieden nach Hause.

Wie wäre wohl das Leben auf dem Land? Weit weg von Stadt und den immer gleichen Geschäften. Frische Luft und Erde unter den Füßen. Ich sehne mich nach etwas Regen und schlechtem Wetter. Die Gewohnheit sitzt tief in der Seele. Wenn die Sonne täglich scheint fehlt mir etwas. Der Kopf sucht ständig nach Veränderungen. Oder eine ausgewogene Mischung aus Veränderung und Alltag. Auch in meiner Arbeit bin ich mittlerweile angekommen. Die Langeweile hat mich. Es geht nicht mehr weiter. Keine Anreize. Immer die gleichen Fototermine. Und dasselbe schlechte Gehalt. Wenn ich abends um 21.00 zum Auditorium geschickt werde, und ich keine Fotos mehr machen kann, weil das Konzert schon angefangen hat, dann frage ich mich warum ich das alles mache. Die Zeit umsonst, kein Geld. Habe nichts besseres zu tun.

Ein Fototermin in der Umarmungstherapie. Nicht ich umarme dich, weil ich dich liebe, sondern ich liebe dich weil ich dich umarme, das ist das Motto einer Therapeutin. Die Teilnehmer sitzen auf dem Boden in einem Kreis und besprechen ihre Erlebnisse. Ich fotografiere einige Leute und gehe nicht, ohne dass mich ein voluminöser Mann in die Arme nimmt. Ich versinke in weicher Körpermasse. Alle klatschen als ich mich verabschiede. Das Foto habe ich in meiner Zeitung nie gesehen. Aber umsonst war ich nicht dort. Es ist nichts umsonst. Diese Umarmung hat mir neue Energien gegeben.

Die Bar mit einem Café solo oder Barraquito, dass sind die wenigen privaten Minuten, die ich mit meinen Fotokollegen verbringe. Eine Pause, eine kleine Geschichte, der Arbeitsfrust, Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch.

Ich freue mich das erste mal auf Deutschland. Deutschland als Urlaubsland zu erleben. Die schneidende Dezemberkälte, die gedämpften Farben, das Braun und das Grau der Landschaften. Meine Wohnung, die nicht mehr meine Wohnung ist. Meine Freunde, die meine Freunde bleiben, egal wo ich bin.

Sitze auf meiner bunten geblümten Tagesdecke aus Marokko, made in China. Höre Madonna und warte auf etwas was ich nicht kenne. Arancha macht sich schick für die Nacht. Diesmal mit neuen weissen Stiefeln für 22 Euro, einem schwarzen Minirock und hautfarbenen Nylonstrümpfen. Ich esse Abendbrot mit Osman, dem Afrikaner. Osman kam vor 6 Jahren mit leeren Händen nach Teneriffa. Wie er es nach Europa geschaftt hat, darüber spricht er nicht. Er hat hier spanisch als Analphabet gelernt. Eine Schule hat er in Guinea Conakry nie besucht. Ich versuche mir die Welt eines Analphabeten aus Guinea Conakry vorzustellen. Das Internet sagt, 1 % der Bevölkerung hat Abitur und kann studieren. Ein Prozent! Osman arbeitet seit sechs Jahren als Bauarbeiter. Er hat sich eine Eigentumswohnung gekauft. So wie alle Spanier.Der Blick auf führt auf die Autobahn, dahinter das Meer. Die Ölraffinerie verbreitet je nach Wetterlage stinkende Luft. Osman sitzt in seinem beigefarbenem Anzug auf seiner braunen Couchgarnitur aus den 70ziger Jahren. Jetzt ist er in Europa angekommen.

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