Freitag, 29. Februar 2008

Santa Cruz, die Stadt der rosaroten Alpenveilchen

Gelbbraune Inseln im blauen Meer durch das kleine runde Flugzeugfenster. Noch 10 Minuten und ich bin wieder zuhause. Eine Ferieninsel für Deutsche meion zu Hause? Die eisige Kälte, meine Freunde, die braun grauen Farbtöne. Deutschland war schön um es nicht zu vergessen. Die Sehnsucht bleibt aus.

Karneval bestimmt die Atmosphäre der Stadt. Die Murgas mit ihren bunten Kostümen singen kritische Lieder über die politischen Probleme der Stadt. Der Strand »Las Teresitas« und die dunklen Geschäfte des Bürgermeisters. Auch dIeser Strand soll nicht vom Tourismus verschont bleiben. Das Volk verdient Pesetas und zahlt in Euros. Alle singen mit. »Chicharrero de corazón« hört man bis mitten in die Nacht hinein auf den Straßen.

Zum Höhepunkt wird die Karnevalskönigin gewählt. Diese 20zigjährigen zarten Schönheiten präsentieren jeweils ein Phantasiebild, dass auf Rädern über die Bühne gezogen wird. Frisch, hübsch, im gebärfreudigen Alter, wie alle Königinnen der Schönheit. Ich denke über Sinn und Zweck dieser Schönheiten nach. Hat das etwas mit Fruchtbarkeitssymbolen zu tun? Überdimensionale Kostüme mit Flügeln, Palletten, Phantasietiere, ein Farbenrausch. Nauzet Celeste Cruz Melo mit der Phantasie »Das goldene Zeitalter« wird vom Einkaufszentrum Carrefour gesponsert. Und sie hat es geschafft. Jetzt hofft sie auf Fotoshootings und auf die Welt der Mode. London, New York, Teneriffa. Die Karnevalskönigin hat es immerhin schon bis zur ersten Seite der deutschen Zeitung »Die Welt« geschafft.

Als Höhepunkt fliegt die 73 jährige Sophia Loren aus Italien ein, um die Schönheiten und deren Design zu begutachten. Nein, eigentlich soll sie selbst von den 9000 Zuschauern begutachtet werden. Das Publikum bestaunt ihre ungebrochene Jugend und deren Sexappeal. Der pralle Silikonbusen schwappt aus dem feuerroten Kleid. Alles scheint überdimensional bei ihr zu sein. Die Augen, der Mund, das Dekolté. Das Lifting macht sie zu einem gutaussehenden Transvestiten. Sie scheint immer noch ihrem Ruf als Sexsymbol verpflichtet zu sein. Wir Fotografen drängen sich um die Schönheit, die mit ätherischen Blicken in ein imaginäres Nichts an den Kameras vorbeischaut. Sophia schau hierher und hierher, und für mich auch noch einen Blick! Alle jubeln ihr zu. Gerard Depardieu schaut ihr ungewollt in den Ausschnitt. Da kommt eben keiner drum herum.

Im Gegensatz zu Deutschland wird hier erst am Aschermittwoch eine Sardine aus Pappe verbrannt. Bis in die Nacht hinein trauert die Karnevalsgesellschaft in den Straßen von Santa Cruz. Männer als schwarze spanische Witwen verkleidet werfen sich zu Boden und bekunden ihre Trauer mit großen Federfächern. Ein Mann zeigt mir seine Unterhose aus rosafarbenen Bonbons gehäckelt. Ein letztes Mal auf die Pauke hauen. Der Karneval ist vorbei, aber noch nicht ganz. Das Ende muss sanft vollzogen werden. Bald werden Männer in aufreizender Frauenkleidung auf der Straße nicht mehr akzeptiert. Es wird wieder schwieriger Männer sowie Frauen kennenzulernen. Am Wochenende geht es nochmal so richtig los. Dann wirklich das letzte Mal.

Der Samstag ergießt sich in warmen Regengüssen dahin. Spontan werden Musikbands und der Karnevalsumzug für Kinder auf den Sonntag verlegt. Trotzdem sind die Straßen voll mit Prinzessinnen, Dominas, Männer in Miniröckchen als Sexymietze oder als Omas mit schlaffen Brüsten verkleidet. Flamencotänzerinnen, Römer, Hippies mit riesigen schwarzen Perücken, Schwangere in weißen Hochzeitskleidern oder deutsche Touristinnen im Badeanzug mit Schwimmreifen, ausgestopft zur unförmigen Figur des Durchschnittstouristen. Es ist erlaubt an falsche Brüste zu fassen, Männern auf knackigen Hintern zu klopfen. Drei Blondinen mit den gleichen Kleidern von H&M stolzieren mit ihren hochhackigen Schuhen durch das Menschengewühl. Viele Spanier gehen in Gruppen mit gleichen Kostümen aus. Die Weihnachtsbeleuchtung strahlen ein warmes, gelbes Licht durch die grünen Blätter der Bäume. Mit oder ohne Regenschirm, bald ist jeder bis auf die Haut naß. Es hilft nur noch tanzen zur Latinomusik und der Alkohol. Karneval bedeutet Sex pur. In dieser Zeit ist jeder bereit ein kleines Abenteuer zu riskieren. Deshalb wird jedes Jahr eine neue Kondomkampagne gestartet. Der Fotograf Carsten aus Dänemark hat immerhin vor fünf Jahren seine Frau an Karneval kennengelernt.

Enzo, der Italiener aus dem Schwabenland hat seine blaue Perücke und das rosafarbene Minikleid in einen Anzug ausgetauscht und geht seiner Arbeit als Immobilienmakler nach. Er zeigt mir sein zur Zeit neuestes Projekt. Eine Einzimmerwohnung im 13. Stockwerrk mit Blick auf den Hafen und das blaue Meer. Es ist traumhaft und man fühlt sich wie in einer modernen Großstadt. Der Boden im Zentrum von Santa Cruz ist teuer. 150.000 Euro und die 37 Quadratmeter sind mein. Ich stelle mir das Leben im 13. Stockwerk auf Teneriffa vor. Hier bleiben?

In der Fußgängerzone Calle Castillo treffe ich Katharina aus Berlin mit ihrem Mann aus Argentinien. Sie haben sich beim Tangotanzen in Paris kennen gelernt. Seit einem Jahr versuchen sie ihr Glück auf der Insel. Katharina sehnt sich nach ihrer schönen Wohnung in Berlin und ihrem gutbezahlten Job als Kunstlehrerin. Die meisten Wohnungen werden möbiliert vermietet, dementsprechend sieht die Wohnungseinrichtung aus. Im Juni werden sie wieder zurückgehen. Man braucht eben Zeit für die richtigen Kontakte und Jobs. Der Verzicht auf einige Annehmlichkeiten bringen andere schöne Erfahrungen, wenn man ins Ausland geht. Alles haben geht eben nicht. Die Insel ist eben doch kein Paradies.

Auch hier feiern wir so etwas wie eine kleine Berlinale. Der 6 Mio. Euro Film »Oscar« zeigt das Leben des Surrealisten Oscar Dominguez, der bekannteste Surrealist aus Teneriffa. Die Kanarischen Bananen machten es möglich, dass er in Europa studieren konnte und Bekanntschaft mit André Breton und der Surrealistengruppe in Paris machte. Ein roter Teppich wird ausgelegt und die geladene Highsociety, oder alles was über der üblichen Einkommensgrenze liegt, lässt sich auf dem roten Filmteppich feiern. Politiker aller Parteien, Unternehmer, der ehemalige Präsident mit seiner Frau. Oder ist es seine Freundin?

In unserer Wohnung gibt es immer wieder Bewegung. Der Wohnungsbesitzer rief persönlich an, das ist kein gutes Zeichen. Zwei Wochen später rief sein Anwalt persönlich an. Wenn die fehlenden 1500 Euro bis zum 24. März bezahlt werden, ist alles in Ordnung. Eine Monatsmiete und Wasser /Müll von einem Jahr. Marcel ist immer noch nicht aus Kuba zurück. Ich bereite mich seelisch schonmal darauf vor, die Wohnung zu wechseln. Wenn das alles nur nicht so teuer wäre. Eine Einzimmerwohnung im Zentrum von Santa Cruz kostet ungefähr 400 Euro. Bei meinem unsicheren Gehalt ist das eine Menge Geld. Alleine wohnen ist für mich mittlerweile Luxus geworden. Auch in Deutschland.

Nachdem die 60zigjährige Ana aus Italien ausgezogen ist, wohnt jetzt seit einigen Tagen Milagro bei uns. Dummerweise hat sie dem Wohnungsbesitzer unvorbereitet die Tür geöffnet. Sie wußte von nichts und viel aus allen Wolken. Jetzt ist sie zu recht sehr besorgt und schaut sich sofort nach einer neuen Wohnung um. Das ist in diesem Jahr die fünfte Person. Dieses Zimmer hält keine Mitbewohner. Milagro ist um die fünfzig und hat ihren Sohn neben Studium und Arbeit alleine großgezogen. Sie findet keinen Job in ihrem Bereich, deshalb versucht sie jetzt auf der Straße für das Rote Kreuz Mitglieder zu werben. Das Geld reicht gerade so, eine Wohnung für sich kann sie sich nicht leisten. Hier in Spanien gibt es keine Sozialhilfe. Wenn das Arbeitslosengeld ausläuft, muss jeder Job angenommen werden. Ohne Partner oder Familie bleibt einem nur noch die Zweckgemeinschaft übrig, wenn das Geld für die Miete fehlt. Schon alleine deswegen ist es eine Überlegung wert sich einen Partner zu suchen.

Ana Oramas, die Bürgermeisterin von La Laguna macht Wahlkampf in der Calle Castillo/Santa Cruz. Das ganze Medientross stürmt die Geschäfte in der Fußgängerzone. Filmkameras, Journalisten, Fotografen. Und wie fanden sie die Debatte gestern? Die Verkäuferinnen lachten schüchtern und lobten ihre Rede. Sie kann mit den Leuten auf der Straße und besonders mit den Älteren. Sie verteilt Postkarten mit ihrem Portrait an die Leute und unterschreibt mit einem goldenen Stift. Etwas sehr Kostbares. Und vergisst nicht, mich in den Kongress zu wählen! Eine arme Frau, die sich keine neuen Zähne leisten kann ist beeindruckt von ihr. DIe Bürgermeistern hat mich persönlich mit Kuss begrüßt! Das reicht den Wahlkampf zu gewinnen. Politik ist für die meisten Leute abstrakt. Aber eine persönliche Begrüßung bleibt in Erinnerung. DIe Autogrammkarte ist das besondere Geschenk. Gute Werbestrategie. Rajoy der Präsident der Partido Popular spielte vor zwei Tagen mit den alten Santacruceros Gitarre, und Zapatero ruft sich am Samstag noch einmal in Erinnerung. Das spanische Volk wählt am 9.März.

Santa Cruz de Tenerife im November/Dezember

Plaza Principe Paz ist ein Lichtermeer in Gelb. Neonblaue Sterne am Straßenrand, Glühbirnen formen Eiszapfen über der Fußgängerzone. Die Weihnachtsbeleuchtung ist wieder da. Fast ein Jahr auf Teneriffa. Der rote Weihnachtsstern blüht nicht nur in den Büros, sondern in allen öffentlichen Parkanlagen der Stadt. Glühwein und Handschuhe gehören hier nicht zur Weihnachtsausstattung.

Taganana
Sonntagsausflug weit weg von Stadt und Arbeit. Hier kann mich niemand über Handy erreichen. An der Küste steigt blauer Nebel vom Meer hinauf. Die bizaren Berge, die klare Luft. Vom Berg aus sehen die Wellen nicht so hoch aus, doch die Menschen darin sehr klein. Untertauchen in den weißen Wogen des Meeres. Im Winter ist der Strand leer und die Meeresströmungen sind gefährlich stark. Ich schwebe auf der blauen Meeresoberfläche bis zum Horizont. Eine Welle nach der anderen. Plötzlich taucht eine grüne Wasserwand vor mir auf. Ich schwimme hindurch. Die Strömung zieht mich in die Tiefen bis zum Grund. Kaum die frische Luft geatmet, steht die nächste grüne Wasserwand dröhnend vor mir. Wieder Luft geholt mit Salzwasser im Mund, donnert die nächste Wasserwand über mich. Ich schwimme so schnell ich kann, das Ufer ist nicht weit, aber endlos für mich. Die Kraft des Meeres entwickelt unbekannte Energien in mir. Im weissen Strudel schwimme ich weiter, bis die dritte Welle mich erfasst. Keine Zeit zum Atmen. Einmal das Meer berührt und ich fühle mich lebendig. DIe Angst, das Adrenalin, atemlos gelange ich ans Ufer und fahre zufrieden nach Hause.

Wie wäre wohl das Leben auf dem Land? Weit weg von Stadt und den immer gleichen Geschäften. Frische Luft und Erde unter den Füßen. Ich sehne mich nach etwas Regen und schlechtem Wetter. Die Gewohnheit sitzt tief in der Seele. Wenn die Sonne täglich scheint fehlt mir etwas. Der Kopf sucht ständig nach Veränderungen. Oder eine ausgewogene Mischung aus Veränderung und Alltag. Auch in meiner Arbeit bin ich mittlerweile angekommen. Die Langeweile hat mich. Es geht nicht mehr weiter. Keine Anreize. Immer die gleichen Fototermine. Und dasselbe schlechte Gehalt. Wenn ich abends um 21.00 zum Auditorium geschickt werde, und ich keine Fotos mehr machen kann, weil das Konzert schon angefangen hat, dann frage ich mich warum ich das alles mache. Die Zeit umsonst, kein Geld. Habe nichts besseres zu tun.

Ein Fototermin in der Umarmungstherapie. Nicht ich umarme dich, weil ich dich liebe, sondern ich liebe dich weil ich dich umarme, das ist das Motto einer Therapeutin. Die Teilnehmer sitzen auf dem Boden in einem Kreis und besprechen ihre Erlebnisse. Ich fotografiere einige Leute und gehe nicht, ohne dass mich ein voluminöser Mann in die Arme nimmt. Ich versinke in weicher Körpermasse. Alle klatschen als ich mich verabschiede. Das Foto habe ich in meiner Zeitung nie gesehen. Aber umsonst war ich nicht dort. Es ist nichts umsonst. Diese Umarmung hat mir neue Energien gegeben.

Die Bar mit einem Café solo oder Barraquito, dass sind die wenigen privaten Minuten, die ich mit meinen Fotokollegen verbringe. Eine Pause, eine kleine Geschichte, der Arbeitsfrust, Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch.

Ich freue mich das erste mal auf Deutschland. Deutschland als Urlaubsland zu erleben. Die schneidende Dezemberkälte, die gedämpften Farben, das Braun und das Grau der Landschaften. Meine Wohnung, die nicht mehr meine Wohnung ist. Meine Freunde, die meine Freunde bleiben, egal wo ich bin.

Sitze auf meiner bunten geblümten Tagesdecke aus Marokko, made in China. Höre Madonna und warte auf etwas was ich nicht kenne. Arancha macht sich schick für die Nacht. Diesmal mit neuen weissen Stiefeln für 22 Euro, einem schwarzen Minirock und hautfarbenen Nylonstrümpfen. Ich esse Abendbrot mit Osman, dem Afrikaner. Osman kam vor 6 Jahren mit leeren Händen nach Teneriffa. Wie er es nach Europa geschaftt hat, darüber spricht er nicht. Er hat hier spanisch als Analphabet gelernt. Eine Schule hat er in Guinea Conakry nie besucht. Ich versuche mir die Welt eines Analphabeten aus Guinea Conakry vorzustellen. Das Internet sagt, 1 % der Bevölkerung hat Abitur und kann studieren. Ein Prozent! Osman arbeitet seit sechs Jahren als Bauarbeiter. Er hat sich eine Eigentumswohnung gekauft. So wie alle Spanier.Der Blick auf führt auf die Autobahn, dahinter das Meer. Die Ölraffinerie verbreitet je nach Wetterlage stinkende Luft. Osman sitzt in seinem beigefarbenem Anzug auf seiner braunen Couchgarnitur aus den 70ziger Jahren. Jetzt ist er in Europa angekommen.