Dienstag, 9. Oktober 2007

Mauretanien

Der Kanarenstrom verhüllt die fremde Welt in einen blauen Nebel. Eine Tasse Kaffee und ein Baguette und der endlose leere Strand Afrikas liegt vor mir. Ein Wolkenband fällt wie ein Wasserfall ins türkisfarbene Meer. Sandige Wassertropfen bilden ein Muster auf dem platten Boden. Im Flughafengebäude steigt muffiger Körpergeruch in die Nase. Ab jetzt gibt es kein Toilettenpapier mehr. Vor sechs Monaten bin ich mit allen Hoffnungen von Laayoune auf die Kanaren geflogen. Jetzt ist mein Kopf voll mit Menschen, die ich damals noch nicht kannte.

Frauen flanieren in Gruppen gemeinsam die staubigen Straßen entlang. Tücher wehen in Türkis, Blutrot, Sandgelb mit großen Mustern durch den Wind. Eine Frau prüft jedes Gebäck mit ihren hennabemalten Händen. Das nicht, das auch nicht, ein Gebäck fällt auf die Straße, nein das auch nicht. Nachdem sie alle mit ihren Händen begutachtet hat, kauft sie das Erste. Renaults aus den 70zigern. Ab und zu ein neuer Jeep. Ein Mann in Badelatschen fragt mich, ob ich Sex haben möchte. Ich esse einen orangefarbenen Eintopf mit Fleisch, Kartoffeln und Möhren. Die Fliegen versammeln sich auf dem schmutzigen weißen Plastiktisch.

1000 km südlich liegt Dakhla, Rio de Oro genannt. Es gibt weder Gold noch einen Fluß, dafür viel gelber Sand. Ob ich 200 Meter oder 2000 km fahre, die Landschaft ist in weißes Licht getaucht. Kein Baum, kein Strauch, nichts als erschreckende Weite. Nie wird sich etwas ändern. Wie ein Gefühlszustand, eine Erstarrung, aus der man nie wieder entlassen wird. Rasender Stillstand. Flaches Land geht über in einen blassen Himmel, Entfernungen sind unwichtig geworden. Auf der Tankstelle Sahara macht der Bus eine Mittagspause. Das Lied »Hotel California« tönt über einen Lautsprecher durch die Wüste.
»You can go whereever you want, but you can never leave.«

Jeder Polizeiposten im endlosen Nichts bewahrt ein großes, in Leder gebundenes Buch. Name, Adresse und Beruf werden sorgfältig eingetragen. Diese Seiten werden nie wieder gelesen. Aber ein stiller Beweis, ich war da. Wie Eintragungen ins Klassenbuch. Mein Name steht nun in jedem Polizeihäuschen der Westsahara.

In Dakhla kaufe ich mir ein hellblaues Handtuch mit besticktem Goldrand und roter Rose. Made in China. Nach Sonnenuntergang vermischen sich Pfefferminze, Weihrauch, Hühner, Feuer und Körpergeruch zu einem orientalischen Cocktail. Ich habe ein Hotelzimmer Nummer 2. Am nächsten Morgen geht es weiter mit einem schwarzen Mercedes, aus Belgien. Mauretanien ist das Land des Mercedessterns. Hier fahren alle Modelle, mit Papiere und ohne Papiere. Unser Taxifahrer spricht spanisch und kennt die mauretanische Grenze gut. Wir fahren durch sieben Kilometer Niemandsland über die Grenze nach Mauretanien. Minen vom ehemaligen Konfikt schlummern noch im Sand. Ein Autofriedhof, nachts werden gestohlene Mercedese über die Grenze gebracht. Weder Marokko noch Mauretanien ist daran interessert, diese 7 km zu asphaltieren. Direkt hinter der Grenze liegt Nouadibouh.

Im Juli 2006 schloss die EU mit Mauretanien das nach eigenen Angaben »wichtigste Fischereiabkommen überhaupt« ab. Für die Zahlung von 86 Millionen Euro pro Jahr können während der sechsjährigen Laufzeit des Abkommens rund 200 europäische Schiffe in mauretanischen Gewässern fischen.

In Nouadhibou angekommen übernachten Margot, eine Französin und ich beim Taxifahrer. Sein Haus hat keine Fenster. Ich bin schockiert. Aber es gibt doch Fenster! Er zeigt auf eine Luke in der Decke und ein inneres Fenster. Das kalte Neonlicht und der Fernseher bieten orientalische Gemütlichkeit. Wir zappen uns von Abu Dhabi bis Lybien durch. Das europäische Bad, in lindgrün gekachelt mit Badewanne zeigt sich als unbrauchbar, da es kein fließendes Wasser gibt. Mit einem Plastikeimer holen wir das Wasser aus drei Meter Tiefe. Eine Zisterne in der Küche. Das Wasser kommt von weit her. Aus dem Süden. Aber die letzen Meter bis zu meinem Körper sind schwierig.

Der Taxifahrer fragt mich, ob ich das angenehme Leben satt bin? Warum Mauretanien? Zum Abendessen gibt es Tortilla, Tomaten und Oliven. Ein schwarzer Mauretanier bereitet den Tee vor. Hin und her werden die Gläser geschwenkt, bis ein fester Schaum entsteht. Ich erinnere mich an das Gesetz, das erst vor kurzem erlassen wurde. Sklaverei ist verboten. Viele Schwarze arbeiten im Haushalt bei nordafrikanischen Familien für wenig Geld. Waren früher wie Eigentum. Er schaut nach dem Rechten, wenn der Taxifahrer nicht da ist.

Nouadhibou: Auf staubigen Straßen zwischen Müllfetzen werden Tomaten, Mangos, Plastikschüsseln und Sonnenbrillen von Senegalesen verkauft. Eine Ziege kaut genüßlich an den Resten eines Frauenkleides.

An einem weißen Betonkubus mit zwei Eisenbahnschienen warten die Leute täglich ab 14.30 Uhr auf den längsten Zug der Welt, der 700 km durch die Wüste Eisenerz von der heißen Wüste zur kühlen 2 Küste transportiert. Ich lerne ein 13 jähriges Mädchen kennen, sie lebt mit ihren Eltern in Valencia und ist stolz, spanisch zu sprechen. »Que chuli el desierto!« Teenagersprache auf spanisch. Der 17 jährige Alex reist mit ihren Eltern, aber so genau weiß ich das nicht. Seine Haut ist weich wie schwarzer Samt, ich mache ihm Komplimente und er will mich heiraten. Übermütig und voller Lebensfreude macht er ständig Witze.

Der Zug wirbelt den Sand der gesamten Wüste auf und hält auf quietschenden Schienen. Matrazen, Taschen, Menschen klettern durch die Fenster. Nach einigen Kilometern ist der Gang immer noch voll mit Menschen. Die Fahrt dauert 14 Stunden. Es gibt kein Platz. Ich werde von meiner neuen Familie eingeladen in ihrem Abteil zu sitzen. 14 Personen teilen sich 6 Sitze. Aber das ist allen egal. Dazwischen bereitet Alex mit guter Laune den Tee vor. Der Müll wird in die einsame Weite der Wüste aus dem Fenster geworfen. Die Nomadenkultur lebt in den Menschen weiter. Auch wenn sie mittlerweile seßhaft geworden sind. Mit dem Untergang der Sonne ist es im Zug auch dunkel. Aber die arabische Augen sind überall. Und die Hände auch. Ich steige über schlafende Frauen und Männer, hin und her. Der Fahrtwind bläst Sand und Eisenstaub ins Gesicht.

Alex schlägt vor, in einen der offenen Wagons zu klettern. Dort fahren die Leute die kein Ticket bezahlen. Sternenstaub über dem schwarzen Wüstenhimmel. Der offene Wagon rüttelt uns von einer Ecke zur anderen. Manchmal ist es besser das Abenteuer im Buch nachzulesen, als selbst zu erleben. Ich habe mir die offenen Wagons gemütlicher vorgestellt. So gleitend durch die Wüstennacht. Meteoriten, Sternschnuppen, fallen wie Wünsche vom Himmel. Der Zug rüttelt unsere Körper von einer Ecke zur anderen. Das quietschen der Schienen durch die stille Nacht. Die Jungs heitern mich auf. Wir tanzen in der Mitte des Wagons, Merengue, Hip Hop, Salsa, um uns dem Rhythmus des Zuges irgendwie anzupassen. Bewegen. Drei Stunden lang mit einer Handvoll 18 Jähriger und einem Getthoblaster durch die staubige Nacht. In Choum steige ich aus. Weitere vier Stunden bis Zouerat erspare ich mir. Beim Aussteigen verschwindet plötzlich meine Tasche. Es ist dunkel. Ich komme so schnell aus dem offenen Wagon nicht heraus. Drei Taschenlampen in der Ferne, das ist Choum. Zwei Eisenbahnschienen und ein paar Häuser. Ein anderer Güterzug saust in endlosen Minuten an uns vorbei. Die Zeit wie ein Vakuum. Wo ist meine Tasche? Das Gefühl, als hätte ich gerade mein Leben abgegeben. Mein halbes Leben habe ich schon abgegeben. Mein Objektiv schlummert in zwei Teile zerbrochen in meiner Tasche, die jetzt ganz verschwunden ist. Ich schreie durch die stille nach auf französisch nach meiner Tasche. Und plötzlich taucht sie wieder auf. Meine Tasche. Es ist wie eine Erlösung. Eine Befreiung vom bösen Schicksal.

In Choum bietet mir ein Mann eine Pritsche an. Als ich nach einer Decke fragte, schaute er mich verständnislos an. In ganz Mauretanien gibt es keine Decken und kein Bettzeug. Wenn es keinen anderen Schlafplatz gibt, dann lege ich mich eben irgendwo hin. Es ist Dunkel. Ich taste mich eine Straße entlang, ohne zu wissen wohin. Der steinige Boden ist heute Nacht mein Hotel. Was braucht man mehr zum Leben? Ich habe keine Ahnung wo ich am nächsten Morgen aufwache. Die fahle Morgensonne enthüllt das Geheiminis: Ich befinde mich neben den Bahngleisen und habe gut geschlafen. Ein paar Morgenspaziergänger schauen mich entgeistert an. Verrückte Touristin die den Wohlstand satt hat. Mein Objektiv kommt mir in den Sinn. Kaputt. Keine Fotos. Und viel schlimer: Ich kann auf Teneriffa wiedermal nicht richtig arbeiten. Ein immer wiederkehrender Albtraum realisiert sich jetzt. Meine Kamera fällt hin und ist hinüber.


Die wenigen Häuser von Choum existieren nur wegen den Bahngleisen. Hier gibt es Nichts. Das Wasser wird von 100 km Entfernung herantransportiert. Der Ladenbesitzer bietet mir einen schmutzigen Schlafplatz an. Ich bewege mich nicht. Beobachte, wie mein Körper ab 9.00 Uhr zu schwitzen beginnt. Moina, ein achtjähriges Mädchen betrachtet neugierig mein Rucksackinhalt und verlangt meinen Wecker als Geschenk. Schon vor 100 Jahren war die Begrüßung Bonjour Madame, cadeau (Geschenk) Sie findet meinen Wecker besonders attraktiv. Schutzlose Weite, ein trockenes Gestrüpp spendet dürftigen Schatten, die Hitze brennt alle Gedanken aus. Ich denke nur an Wasser. Ohne Wasser bin ich verloren. Ein schwarzer Mauretanier, seine Haut glänzt im Sonnenlicht. Er lebt gerne in Choum. Hier ist sein Ort. Die Heimat kann überall sein, wenn nur das Herz eine Verbindung hat.

Ich habe keinen Hunger, muß etwas essen. Reis, eine Karotte, etwas Fisch und Süßkartoffeln. Meine Nerven liegen immer noch blank. Als ich von meinem Nachmittagsspaziergang zurückkomme, finde ich meinen Wecker nicht. Bestimmt hat das Mädchen den Wecker gestohlen. Ich raste aus, die Mutter beschimpft mich, das Mädchen schaut mich mit aufgerissenen schwarzen Augen an. Die Angst auf meiner Reise alles zu verlieren, vielleicht auch mich selbst. Ich habe den Wecker aus Mißtrauen gut versteckt und mich selbst in diese Situation gebracht. Als ich meinen Wecker endlich in meinem Rucksack gefunden habe, breche ich in Tränen aus. Versöhnung, der Ladenbesitzer lacht. Ich schenke der kleinen Moina ein Armband, sie ist glücklich endlich ein Geschenk bekommen zu haben. Und wir sind beste Freunde. Am Abend streite ich mich mit dem Ladenbesizter. Er will nochmal Geld von mir, mein Taxi nach Atar fährt heute abend und nicht wie ich dachte morgen früh. Ich bin immer noch müde, packe wütend meine Sachen und steige in den Jeep ein. Vergesse fast meine Schuhe. Er lächelt mir gelassen hinterher.

In Atar schlafe ich in der Herberge wieder draussen. Diesmal im Hof, neben einem silbernen Toyota. Atar ist die Hauptstadt von Chingettiland, das Land der endlosen Wüstendünen. 800 km bis Timbouktou ohne einem Menschen zu begegnen. Ein staubige Stadt mit fliegenden Plastiktüten. Der Müll gehört zum Stadtbild wie der Dom zum Petersplatz gehört. Es gibt keine Trennung zwischen Müll und anderen Sachen. Zwischen Papierfetzen und Plastikbergen werden Tomaten, Fleisch und Datteln verkauft. Ich sitze im Cafe Agadir und trinke einen Pfefferminztee. Die Zeit ist in Mauretanien endlos. Alle haben Zeit. So auch der 28 jährige Sidi. Ich habe keine Lust auf neue Bekanntschaften, und letztendlich rede ich doch mit ihm. Er zeigt mir eine andere Herberge. Dort begrüßt mich Ely, der in Madrid studierte, und perfekt englisch und spanisch spricht. Sein Wohnzimmer ist jetzt mein Hotelzimmer. Der Raum besteht aus vier Sitzgelegenheiten und acht Kissen, Ockerfarben mit schwarzen Karos. Braucht man sonst noch etwas? Ich schlafe eh wieder draussen. Diesmal auf der Terrasse. Decken gibt es hier auch nicht. Zwischen vier und acht Uhr morgens weht eine angenehme Luft auf dem Dach. Die Menschen in Mauretanien leben immer noch wie Nomaden. Es gibt nichts. Keine Möbel, nichts. Wie erschreckend wenig man zum Leben braucht. Die ausrangierten Autos aus den 70zigern fahren immer noch. Das Kleid, der Umhang ist gleichzeitig Handtuch und Betttuch. Schützt vor Hitze, Wind und Sand. Ein paar Matten, ein Fernseher und das Teebesteck mit vier Gläsern. Das ist alles. Alle schlafen draussen auf Matten in ihren Kleidern. DIe Gewänder sind praktisch, für jede Gelegenheiten.

Im Fernsehen läuft Bugs Bunny, die Looney Tunes habe ich in Amerika schon gesehen. Dann schaltet jemand um: ein französischer Kanal zeigt eine Travestieshow. Was hat das Fernsehen mit dieser Welt zu tun? Zwischendurch wird ein mauretanischer Sender eingschaltet. Mauretanien ist Sieger bei einem Poesiewettbewerb in Dubai geworden. Der Satellit empfängt 200 arabische Sender.

Sidi besucht Ely. Aber eigentlich besucht er mich. Wir sprechen über dieses und jenes, ich kann mich in der Hitze nicht bewegen. Die erste obligatorische Frage ist, ob ich verheiratet bin. Dann will er den Namen meines Freundes wissen. Ich muß überlegen. Wen nehme ich denn da? Ob er Spanier sei oder Deutscher. Sidi lädt mich zu seiner Familie ein. Seine Brüder liegen dösend auf dem Boden, nur die Mücken summen durch die heiße Luft. An der Haustür stinkt es nach Toilette. Warum muß die Toilette direkt neben dem Hauseingang liegen? Keinen scheint es zu stören, ausser mich. Sein Zimmer ist lieblos und chaotisch. Eine rotgeblümte synthetische Wolldecke aus China liegt auf dem Boden. Dort eine Kiste, hier irgendein Müll. Durch die Tür schauen ein paar Ziegen hinein. Sidi möchte das ich wiederkomme. Nach Atar. Dann heiraten. Er will nicht nach Europa. Denn Atar ist der beste Ort der Welt. Ja hier kann man auch ohne Geld gut leben. Das wenige was sie besitzen, teilen sie mit anderen. Deshalb finden sie es normal, dass die, die etwas besitzen, ihrerseits mit ihnen teilen. Sein Freund ein Friseur schneidet ihm die Haare umsonst, dafür hat er ein Fahrrad bekommen. Ganz Mauretanien sind Händler. Das war schon immer so. Ich schaue dem Friseur von einem speckigen Sofa aus zu. Das Sofa ist eigentlich schon zu alt für den Müll, aber es funktioniert immer noch. Von der Wand schauen indische Blondinen verführerisch auf den Kunden. Miss India ist blond. Es gibt kein Wasser, dafür einen großen Getthoblaster mit mauretanischer Musik. Und ich habe das Gefühl in einem der coolsten Friseurläden Mauretaniens zu sitzen.

Sidi zeigt mir auf einem Ausflug Azugi, ein Dorf in einem schönen Tal gelegen. Viele der runden Häuser aus Stroh sind offen und leer. Das ganze Mobiliar mitgenommen. Die Familien leben in der Stadt und haben hier eine zweite Wohnung. Sidi holt aus dem Kofferraum des Taxifahrers einen Metallkoffer hervor. Sieht aus wie ein Verbandskasten aus dem zweiten Weltkrieg. Was ist dort drin? Das Teebesteck natürlich. Ein Gaskocher, zwei Gläser, Tee und Zucker. Wir haben kein Feuer und warten auf andere Leute. Am Ende trinken wir Tee mit allen die vorbeikommen. Ein junger Mann mit drei Frauen und einem grünen Mercedes. Eine davon ist seine Freundin und andere Passanten.

Auf dem Dach eines Jeeps fahre ich mit anderen vier Jungs nach Chingetti. Der heiße Wüstenwind bläst ins Gesicht und trocknet die Kehle aus. Es ist wie Weihnachten, wenn man den Kopf kurz in den Backofen steckt, um nachzuschauen ob die Plätzchen schon gut sind. In Chingetti angekommen, genieße ich in einer Herberge europäischen Luxus. Einer 60zig jährige Französin, betreibt diese Herberge mit Erfolg und hat ein Reisebüro in Atar. Ab Oktober kommen hier Chartertflüge direkt aus Paris an. Ich versuche mir vorzustellen, was ich wohl mit 60 Jahren mache. Jetzt im August bin ich ausser einem Engländer und einem Schweizer, der fünf Jahre unterwegs sein will, die einzige Touristin. Durch meine Hütte weht der sandige Wind, ich sehe die grünen Palmen und einige Häuser von meinem Bett aus. Ich liege in meiner Hütte, meine Gedanken verschwunden. Schaue auf den bunten Baldachin über mir. Schwarzweisse Karos, blaurot weiße Streifen, braune Rosen mit grüngelben Mustern wechseln sich ab. Echte Mauretanische Atmosphäre herstellen, das können nur die Europäer.

Aus den Wohnzimern der Leute werden Dosen und Brot verkauft. Ich bin auf der Suche nach etwas Frischem. Es ist schon Dunkel und eine Frau leuchtet mit ihrer Taschenlampe die Regale ab. Plötzlich taucht im schwachen Rampenlicht der Taschenlampe eine JPS-Dose mit Tutti Frutticocktail auf. Ja, das ist meine Begierde! Erinnerungen an die siebziger Jahre. Während ich mit Genuss die Dose leere, schreien die Esel, Kamele schnauben, Hühner krähen und Ziegen mähen vor sich hin. Ganz schön laut für ein Dorf. Ansonsten herrscht Stille.

Ab 6.oo Uhr morgens wandere ich durch die sanften Dünenberge. Es ist egal wohin ich gehe, alles Berge, alles Täler. Ich selbst muß entscheiden. Der Sand fließt wie Wasser die Dünen hinunter und ist weich wie kühle Seide. In 20 cm Tiefe ist die Hitze des Vortages noch gespeichert. Allein. Die Luft beruhigt den wilden Geist. Zu weit in die falsche Richtung und ich bin verloren. Ob ich 30 km weiter bin oder hier, das ist egal. So wie das Leben sein sollte. Dort wo ich bin ist es gut. Trotzem muß ich selbst entscheiden. Die Landschaft gibt keine Vorgaben. Rosafarbender Sand verläuft sich im blassen Blau des Himmels.

Am Abend treffe ich eine französische Pfadfindergruppe, die ein Hygieneseminar in Zouerat gegeben haben. Einer davon war gerade in Berlin. Wir unterhalten uns über Friedrichshain und Wohngemeinschaften. Am Abend ist eine Hochzeit im Dorf und alle sind eingeladen. Auf zwei großen Ölfässern sitzend, schaut das Hochzeitspaar mit seinen besten Freunden den Tanzenden zu. Frauen wickeln sich tanzend in ihre bunten Schleier ein. Sie tanzen eigentlich nur für sich. Bauchtanz erscheint mir im Kontrast offensiv und ordinär. Eine männliche, klagende Stimme singt monoton in die Nacht hinein. Ab und zu fällt der Generator aus, es werden Lampen ausgetauscht und die Party geht weiter. Drei Tage dauert eine Hochzeit. Ein Tag für die Familie, die Freunde des Mannes und die Freunde der Frau. Eine willkommene Abwechslung für alle Dorfbewohner.

Achmed will mit mir eine Kameltour durch die Wüste machen. Ich brauche auch nichts zu bezahlen. Ich bin doch seine Freundin. Vorsichtshalber fragt er, ob ich Kondome benutze. Ich verzichte lieber auf die Wüstentour und spare mir die Kondome. Achmed stellt mich seinen Freundinnen vor: Sechs Frauen liegen oder sitzen entspannt im Salon. Der Kassettenrecorder spielt mauretanische Musik, noch halb in der Verpackung zum Schutz vor Sand. Ein Kind spielt auf dem Boden, die Mutter läßt sich von einer Frau die Füße mit Henna bemalen. Eine Frau macht Fotos mit ihrem Handy. Hände werden gewaschen. Essen. Es gibt Kamelfleich mit Pommes. Danach süße Kamelmilch. In einer Ecke Ecke ist eine Frau für den Tee zuständig. Sie produziert in der kleinen Kanne ständig Tee für alle. Hin und Her, Hin und Her, bis der gute Schaum entsteht. Alles ist unkompilziert, eine Person mehr oder weniger, das ist egal. Es ist immer für alle genug da. Durch die offenen Fenster weht eine angenehme Luft.

Ich unterhalte mich mit dem Buchhalter der Pension aus Burkina Faso. Er ist seit einem Jahr in Mauretanien und fühlt sich nicht besonders wohl hier. Nicht nur, wegen des moslemischen Glaubens, sondern er leidet auch unter dem Körpergeruch. DIe Leute waschen sich nicht, sie benutzen keine Seife.

Hinter einem klebrigen Vorhang stehen zwei grüne Bänke an türkisfarbene Wände. Im Hinterzimmer bereiten die Frauen den Reis in großen Schüsseln vor. EIne hübsche Jugendliche bedient die Gäste. Ihre orangefarbene Cordhose, kombiniert mit rotem T-Shirt, erinnert an die Bronx, New York. Das Haar mit einem schwarzen Kopftuch nach hinten gebunden.

Mein Frühstück besteht heute aus drei Bananen und Kamelfleisch auf Kohlen gegart.

In Nouadhibou wieder angekommen, schaue ich dem Juwelier Ahmed bei seiner Arbeit zu. Sofort zeigt er mir einen grünen Stein. Der wird mir gefallen. Er nimmt einen fertigen Ring und wechselt zuversichtlich den Stein in der Fassung. Ich werde bestimmt etwas kaufen. Unter dem Stein holt er ein Stück Pappe hervor. Nachdem wir nach einigen Tassen Tee den Kauf besiegeln haben, schneidet er das Kamelfleisch mit seinem Juwelierbesteck in kleine Stücke. Das köstlichste Fleisch was ich jemals gegessen habe. Ob er auf Teneriffa Geld verdienen könnte? Aber eigentlich will er hier nicht weg. Ist nur so eine Idee.


Wir fahren zu Acht in einem weißen Mercedes dicht gedrängt durch das leere Land. Sand und Land ist in der Sprache der Mauretanier das gleiche Wort. Nouakchott, die Hauptstadt, ist für europäische Augen ein einziger Müllhaufen. Neben mir sitzt.... aus Liberia. Er spricht perfektes amerikanisch. Die einzige Kolonie Amerikas in Afrika. Liberia ist ein schönes Land. Hat das beste Gold und die besten Diamanten der Welt. Und jetzt eine Präsidenten an der Macht. Ich sollte unbedingt hinfahren.

Wir überqueren die Grenze von Nouadhibou nach Dakhla mit einem Transporter mit sieben Mitreisenden. Ich teile mir einen Sitz mit Mohamed, einem Marokkaner, der Geschäfte in Senegal macht und früher bei IBM gearbeitet hat. Aisha, eine Mauretanierin reist mit einem großen Koffer voller Waren. Sie kann erst weiterfahren, wenn sie ein paar Sachen aus ihrem Koffer verkauft hat. Ganz Mauretanien leben vom Handel. Ware aus dem Senegal, die bis Agadir transportiert wird. Wenn die Gegenwart nicht gesichert ist, braucht man nicht an die Zukunft zu denken. Ich versuche mir vorzustellen, so zu reisen, nicht planen, sondern weiterkommen, wenn man wieder etwas Geld verdient hat.

Es dauert drei Stunden bis wir loskommen. Der Fahrer hat Probleme mit einem Papier. Die Sonne steht blass am Horizont, als wir an der Grenze nach Marokko auf die Einreise warten. Immer wieder wird nach dem Beruf gefragt. Wenn man den Beruf ändert, muß der Ausweis auch geändert werden. Der Fahrer hat ein Kiste Mangos und Taschenlampen als Geschenke für die Polizisten, die immer mal wieder an einem Grenzposten in der leeren Landschaft auftauchen. Der Fahrer ist müde und versucht sich mit Musik und eintönigen Koranversen wach zu halten. Soll ich nicht fahren? Kannst du fahren? Gut? Letztendlich traue ich mich nicht, acht Personen durch die Wüste zu transportieren. Also fährt der müde Ibrahim weiter.

1250 km bis Laayoune. Diese Stadt in der Westsahara erscheint mir nach Mauretanien wie New York. Hier gibt es alles. Nüsse, Tücher, Äpfel, Mangos, Trauben, Stoffe, Kleider, Schuhe. Die letzten Tage verbringe ich im »Kaufrausch«. Eiscreme, Milchkaffe, gebackener Fisch.
Weiß mit gelben Rosen, rot mit rosa Punkten, violette, gelbe Blumen, grasgrün mit blaugrün vermischt. Eine Tasse Kaffee und ich tauche im Nebel des Kanarenstroms aus dem Orient wieder in die europäische Welt. Der Flughafen von Teneriffa riecht nach Parfüm. Morgen beginnt der Alltag auf Teneriffa.

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