Dienstag, 9. Oktober 2007

Santa Cruz im März

Meine Seele ist jetzt auch in Santa Cruz angekommen. Ich bin nicht mehr krank, und habe mich in meiner neuen Welt so einigermaßen eingerichtet. Der erste Alltag stellt sich ein, Wiederholungen sind doch manchmal sehr hilfreich im Leben.

Es ist immer noch Karneval. Der Sonntag ist für die Kinder reserviert. Schwarze Batmans, rosa Prinzessinnen und grüne Krokodile bevölkern die Fußgängerzone von Santa Cruz. Die fünfjährige Karnevalskönigin sitzt zwischen einem riesigen Schloß aus Pappmaché und winkt der Menschenmasse zu. Las Vegas auf Teneriffa.

Die Marine I liegt immer noch im Hafen. Der verrostete Frachter hat die letzte Reise hinter sich. 372 Immigranten an Bord, die meisten aus Kashmir. Manche verbrachten zwei Monate an Bord. Der Eigentümer des Bootes ist unauffindbar. Der Kapitän geflüchtet. Mit Motorschaden schwamm das Schiff vor den Küsten Mauretaniens. Nach tagelangen Verhandlungen sind die meisten Reisenden in ihr Heimatland zurückgeflogen worden. 23 Menschen, die ihre Herkunft verschweigen, warten seit sechs Wochen auf eine Entscheidung im Hafen von Nuhadibu, Mauretanien. Jeder Passagier bezahlte 3000 Euro. Insgesamt brachte der verostete Fischkutter über eine Millionen Euro ein. Ein gutes Geschäft. Das verlassene Boot riecht nach Menschen, Angst und Hoffnung. Auf eine Holztafel steht der Hilferuf »Save our lives!« Ein weißes T-Shirt weht im Wind. Die letzte Reise ist vorbei. Bald wird das Boot wir im Meer versenkt.

Schwere Regenwolken ziehen tief über das bleistiftgraue Meer. Es tröpfelt langsam vor sich hin. Die Canarios packen ihre Sachen ein. Sie wissen, das wird ein starker Regen. Die Strandbar Carmelo hat noch geöffnet. Der Papagei schreit, die laute Latinomusik versetzt die Barkeeper in gute Stimmung. Es dauert nicht lange und der Regen fällt wie eine Wasserwand auf den sandigen Boden. Der Horizont verschwindet im nebligen Grau. Blitze und Donner wechseln sich ab. Die Möwen versammeln sich am Ufer. Eine Frau geht mit Regenschirm im Wasser spazieren. Mittlerweile habe ich schon mein zweites Bier getrunken und die Toiletten sind weit entfernt. Die Barfrau stellt mir einen Putzeimer hin, zaubert einen Vorhang hervor und der Ort wird zu meiner Toilette. Danach kann noch ein weiteres Bier getrunken werden.
Im Wohnzimmer finde ich ein See von Regenwasser vor. Ich fühle mich wie in einem Aquarium. Der Regen übertönt jedes Geräusch. Ein befreiendes Gefühl.

Im Mai sind Wahlen. José López Aguilar ist der neue Kandidat der Psoe (SPD). Die Coalition Canarias hat ihn als spanischen Kanarier beschimpft, weil er die Aussprache eines Festlandspaniers hat. Das c wird hier südamerikanisch ausgesprochen. Er wurde von Madrid geschickt. Kleine Buchstaben entscheiden über die Zugehörigkeit. Am Wochenende hat die Coalición Canarias sich gefeiert. Eine konservative, rechte Partei, die seit Jahren die Insel regiert. Zu ihren Errungenschaften gehört das Auditorium von Caladrava, das dreimal soviel gekostet hat wie geplant, die Straßenbahn, die keiner benutzen wird und der Containerhafen im Süden der Insel. Dieser Hafen entsteht trotz Naturschutzgesetze. Weiter geplant sind neue Touristenzentren in San Andrés. Einkaufscenter und Hotels. Man sagt, alles Korruption. Es gibt immer wieder Demonstrationen der Bewohner, die gegen den Ausbau des Teresitas-Strandes sind. »Sie wollen uns Anaga rauben!« Steht auf den Schildern.

Das Parlament, die Verwaltung, oder das Cabildo sind meine neuen Arbeitsstätten. Im Cabildo, die Inselverwaltung, erinnern realsozialistische Wandgemälde aus Francos Zeiten an DDR- oder Sowjetmalerei. Muskulöse Bäuerinnen mit Kindern, Fischer schauen während der Pressekonferenzen in die Ferne.

Auf einer Pressekonferenz wird das Thema Kommunikation vorgestellt. 2008 sollen 1400 neue Arbeitsplätze entstehen. Der Kommunikationsmarkt zwischen Afrika und Europa ist für die Kanarischen Inseln eine gute Möglichkeit Geld zu verdienen.
Andere Pressekonferenzen stellen das Thema Natur und Wanderwege auf Teneriffa vor, Rechte für Kinder, eine Schriftstellerin liest aus ihrem Buch, und oft weiß ich auch gar nicht was los ist. Mache mein Foto und gehe.

Ich schiebe mich zwischen Putzfrauen mit roten Fahnen und Trillerpfeifen hindurch und fotografiere. Die Putzfrauendemo verlangt bessere Löhne und würdigere Arbeitsverhältnisse.

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