Dienstag, 9. Oktober 2007

Santa Cruz im Juni

Endlich gehört der dunkelblaue Renault Clio, Baujahr 1995 mir! Mein erstes Auto!
Claudia und Petra kommen spontan für eine Woche vorbei. Erstes touristisches Highlight: der spanische TÜV. Poli fährt mit mir über den TÜV. Ich lerne neue spanische Vokabeln, wie Blinker, Handbremse, Scheibenwischer oder Lenkrad.

Wir fahren zum Teide über den Wolken, durch nebelnasse Wälder über die Autobahn in die Stadt. DIe Canarios sind äußerst freundlich und geduldig. Auch ich muß jetzt die Fußgänger über die Straße lassen.

In Puerto de la Cruz ist die Hölle los. Die Virgen de la Carmen, Schutzpatronin der Seeleute wird von einer Menschenmasse zum Hafen begleitet. Mit schmerzverzerrten Gesichtern tragen einige Seemänner die Statur auf ihrem Rücken durch die Stadt. Das Gesicht der Jungfrau schaut regungslos über ein Meer von Menschen in die Ferne. Dort wo etliche Seemänner nie wieder zurückgefunden haben. Die Sehnsucht, das Warten auf die Rückkehr der Fischer, das Meer. Bei 30 Grad Hitze springen die Menschen ins Wasser, als sei es der heilige Ganges in Benares. Durchnässte, muskulöse Seemänner laden die heilige Carmen auf´s´Boot. Der Motor springt an, wichtige Politiker begleiten die Jungfrau auf ihren Meeresausflug. Einmal im Jahr darf die heilige Carmen das Meer sehen, die salzige Luft einatmen, einen Blick auf die dort draussen verbliebenen werfen und einen segnenden Schutz über die Küste bis zum endlosen Horizont ausbreiten. Motorboote, Surfer, Kanus, Schwimmer und Segelboote begleiten sie ausgelassen auf ihrer Reise. Alle trinken Bier, feiern, sind glücklich.

16.000 Menschen zwischen Organic Chill Out, Crystal Stage und Windmühlen. Eolica, das beste Musikfestival Europas. Der Eintritt kostet 25 Euro. Ich versuche es mit einer Akkreditierung. Die Presseabteilung sucht mich auf der Gästeliste vergebens. Dann hat die La Gacetta mich bestimmt vergessen. Sofort ruft die Pressezuständige Raquel, die Kulturredakteurin, an. Hier steht eine Frau mit einer Kamera, kennst du sie? Marcos, und Raquel wissen von nichts. Ich komme trotzdem rein und mache Fotos.
Luis Groove und Timetourist spielen ihren Sound. Wiederverwendbare Energien werden vorgestellt, tanzende junge Menschen mit blau gefärbten Zungen und braunen Oberkörpern. Stolz zeigt mir ein Italiener seinen dicken Bauch auf dem Nomad eintätowiert ist. Die Tatooreise geht noch weiter bis zur Unterhose, die er zur besseren Sichbarkeit herunterzieht. Seine Pobacken zieren zwei orangefarbene üppige Blumen.

Wieder kommen Immigranten mit einem kleinen buntbemalten Holzboot an. Miguel wartet auf mich in Los Cristianos. Mein erster Trip mit meinem Auto alleine in den Süden. Ich komme mir fremd vor, wie auf einer anderen Insel. Die restlichen Immigranten sind schon an Land. ich komme pünktlich zu spät. 90 Afrikaner sind auf hoher See ertrunken. Die Suchaktion ist abgeschlossen. Diese Ankunft der Immigranten ist für ein gutes Foto unbefriedigend. Immer wieder das gleiche Bild. Desolate, traurige, erstaunte Gesichter, die es kaum fassen, die Reise überlebt zu haben. Alle die gleichen Emotionen, alle Trainingshosen, T-Shirt und Mützen. Plastiktüten vom Roten Kreuz. Immer gleiche Informationen. Die Anzahl der angekommenen Personen, ein paar Minderjährige, ein Verletzter oder Tote. Die Schiffe kommen mit einer sommerlichen Regelmäßigkeit seit Jahren im Hafen von Los Cristianos an. Routine. Mich interessieren diese Fotos nicht mehr. Aber wie haben die Menschen 10 Tage auf diesem Boot zugebracht? Die Gefühle, die Sehnsüchte, das Warten, die Angst, das Wetter, das Wasser, das Essen, die nächsten Nachbarn, die Toilette. Der Tod?

Auf der Autobahn von Puerto de la Cruz bis Santa Cruz ist mein Auto dampfend liegengeblieben. Was tun? EIn Geräusch gehört nicht zum Motor. das Auto wird immer langsamer. Ich muß runter von der Autobahn und bleibe genau in der Ausfahrt Sauzal liegen. EIn anderes Auto hält und sieht mich etwas ratlos auf mein Auto starren. Ein Abschleppwagen kommt durch Zufall vorbei. Ich will es immer noch nicht wahrhaben. Nein ich brauche keinen Abschleppdienst. Welche Versicherung haben sie? Linea directa bezahlt. Hier ist eine Ausländerin, die mit ihrem Auto liegengeblieben ist. Mein Auto wird auf die Laderampe gefahren, ich kann es immer noch nicht glauben, da ich doch 10 Minuten vorher noch mit 100 h/km über die Autobahn flog. Wir fahren nach Santa Ursula. Das Auto muß in die Werkstatt nach Tacoronte. EIn Wasserschlauch ist geplatzt. Ich habe nicht auf die Temperatur geachtet. Der Zeiger blinkte rot. Das bedeutet mindestens 400 Euro Schaden. Der Taxifahrer kannte sich aus.
Eine teure Erfahrung. Die Besitzerin der Abschleppfirma erzählt auf der Veranda mit Blick zum Orotavatal. Frösche quaken, das sanfte Rauschen der Autobahn mitten in der Naturidylle. Sie war mit ihrem Ehemann in Deutschland und ist fast verhungert. Das Essen hat ihr nicht geschmeckt und es war immer wenig. Und die Straßen, leer! Die Leute leben nicht richtig und für sie gibt es dort keine Lebensqualität. Grau, traurig und öde.

Es ist wieder Sonntag und ich bin in Taganana. Die Strände sind berühmt für ihre hohen Wellen. Ich treffe wieder die spanischen Leute im Restaurant am Strand. Nach dem Essen zwei Gittaren und eine kräftige Frauenstimme: »Ich möchte nur, das du mir das Leben schön machst.«

Ein Fotograf von La Opinión, Jonay, ist deprimiert. Sein Blitz funktioniert nicht mehr und er hat kein Geld. Die armen Fotografen. Hier hat die Ungerechtigkeit ihren Höhepunkt. Wir brauchen ein Equipment was mindestens 7000 Euro kostet, und arbeiten für einen Hungerlohn.

Die La Gacetta gehört einem ehemaligen Boxer. Martinez hatte eine Kette von Geschäften, die Elektrogeräte verkaufen. DIe Druckerei gehörte auch ihm. Dort wurden viele Zeitungen gedruckt. Sogar die El País. Jetzt gehört ihm nur noch die La Gacetta, Mitteilhaber El Mundo. Jetzt muß die La Gacetta Strafe bezahlen, wenn sie zu spät die Daten liefert. Es gab schon immer Geldprobleme. Die Martiñez Geschäfte wurden unter der Bedingung verkauft, das der Name weitergetragen wird. Martiñez ist ein guter Freund von Miguel Conception, dem Fußballpräsidenten mit dem undurchsichtigen Mafiagesicht und einer der reichsten Männer der Insel. Reich geworden ist er mit dem Straßenbau. Jetzt besitzt er 9 Firmen. Unter anderem: Islas Airways, Schiffsfähren zwischen den Inseln, und einiges mehr.

Inhaber haben immer Geld und oft Geldprobleme. Ich bekomme kein Kilometergeld. Diese Information hat mich bis zum Boden zerstört. Maria Elena, die Kubanerin tröstet mich mit einem Café. Die La Gacetta ist keine Zukunft.

Währendessen wir in Santa Cruz bei 40 Grad schwitzen, brennt der Nordwesten ab. Pinien, Eukalyptusbäume, Häuser. Das Satelittenbild ist beeindruckend. Dicke Rauchschwaden ziehen in Richtung Westen. Dafür rufen mich viele Leute an.

Meinen Geburtstag habe ich einen Tag vorher in einem Restaurant Mit meiner verrückten Mitbewohnerin die alkoholikerin ist und Drogen nimmt, einem Afrikaner aus Sierra Leone den ich kaum verstehe, und der sehr genre mit mir zusammen wäre,  Ramón, einem Fotografen den ich sehr schätze und mit dem ich gerne zusammen wäre, wenn er nicht verheiratet wäre und zwei Kinder hätte und Eli aus Barcelona, feier ich im Los Reunidos meinen Geburtstag. Arancha dreht immer mehr auf, bis sie keiner mehr versteht. Ich dachte es sind meine Sprachprobleme, aber Ramón hat sie irgendwann auch nicht mehr verstanden.

Mich hat der Blues. Mit Ramón in einem Cadillac ein Arm aus dem Fenster, Musik, Landschaft, von Chicago bis Memphis. Erinnerungen an Billy. Die Erinnerungen werden wieder lebendig. Wie eine Spirale.

Für 100 Millionen Euro schaut La Palma in die tiefen des Universums. Das beste Teleskop der Welt.


Die Sonne brennt unbarmherzig, das Wasser ist knapp, Ich brauche die Herausforderung bis zur Grenze. Die Berge wie ein kleines Tibet. Wenn man sich verläuft, kein Handyempfang. Abgeschnitten von der Welt. Die Wanderung zum Antequera Strand ist ein Erlebnis wie Robinson Crusoe. Derr Strand ist nur mit Boot zu erreichen, oder eben durch wandern. ich teile den Strand mit drei anderen Menschen. Ich frage mich woher sie kommen und wie sie hier jemals wieder wegkommen. ich muß auf jeden Fall wieder den Barranco hoch über Stock und Stein. Weidende Ziegen schauen mich erstaunt an. Ich suche immer wieder den Weg, Sackgasse, über Stock und Stein, dann wieder ein Pfad zu sehen. Zurückgehen, umwege gehen. Das ist ja wie im wahren Leben.

Im Dorf Igueste de San Andres treffe ich einen 70 zig jährigen Mann. Er geht den Weg bis zum Gipfel zweimal die Woche. Donnerstags und Sonntags. Ich staune. Der Weg führt steil hoch und belohnt mit einem phantastischen Panorama über das Anagagebirge bis zum Teide. Die Küste, die grünen Berge das blaue Meer die Wolken. Das Sonnenlicht streift unwirklich die grünen Berge.


Beim Fotografieren des eines Fußballers am Flughafen mein erstes Ticket bekommen. Sehr wahrscheinlich 90 Euro. Heute ist nicht mein Tag. Um 6:30h aufgestanden, zum ersten Fototermin kam ich zu spät. Alle Läufer waren schon weg.

Jetzt komme ich schon wieder zu spät. Der Polizist schreibt gerade das Ticket aus. 60 bis 90 Euro. Ich bin verzweifelt. Am besten nicht dran denken. Manche verlieren ihre Häuser, ihr Leben, ihre Ernten, und ich habe nur einen Strafzettel bekommen. Alles geht vorüber. Auch der Ärger. Heute ist nicht mein Tag. Ich bin gereizt. Vielleicht wegen meiner bevorstehenden Reise. Warum muß immer alles so anstrengend sein? Warum Mauretanien? Ins große Nichts, in das Land der Mercedesmodelle. Ich habe mich entschieden und es ist gut so. Zum ersten Mal bereite ich meine Reise nicht von Deutschland aus vor.

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